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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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führte. Er staunte darüber, wie er morgens aufstehen, sich eine Kanne Kaffee machen und seine Hose anziehen konnte, so wie er es immer gemacht hatte. Wenn er am Morgen aus dem Bad kam und sich die nächtlichen Stoppeln wegrasierte, dann konnte er seinen Körper sehen, und er sah ihn so, wie sie ihn sah, und er mochte, was er sah, all die harten Kanten und die weiche, glatte Haut, ruhig und still und fest, seinen Körper, der nicht einfach nur das Behältnis seiner Seele war, sondern etwas aus Fleisch und Muskeln und Blut, das ein anderer begehrte, sein Körper, der ihr gehörte, so wie all das andere, das er einst besessen hatte, nun ihr gehörte.
    Er wäre für sie gestorben, so wie er jetzt für sie lebte, für Sylvan und nur für Sylvan. Für sie würde er zu einem besseren Menschen werden, und er würde geduldig sein wie der biblische Hiob, er würde nichts sagen, keinen Druck ausüben, er würde alles wollen und nichts erwarten. Doch es fiel ihm schwer, es war schwer, auf etwas anderes zu achten, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, das nichts mit ihr zu tun hatte.
    Jeder in der Stadt begann die Veränderung an ihm zu bemerken, die Distanz. Was er mit seinem Körper tat, begann sich in seinem Körper zu zeigen. Zuerst vage und dann immer klarer merkten die Leute, dass seine Begeisterung etwas Bestimmtem galt, und sie wussten, dass dieses Bestimmte eine Frau war.
    Charlie Carter sah es als Erster. Er sah, wie Charlie Beale im Dämmerlicht eines Mittwochnachmittags seinen Pick-up aus der Auffahrt von Boaty Glass’ Anwesen lenkte, mit einem Beagle und dem Sohn von Will Haislett auf dem Beifahrersitz. Er sah, wie Charlie ausstieg und mit geübter Geschicklichkeit
den Riegel vorschob, wie er sich dann umdrehte, um Sylvan zuzuwinken, die im Unterkleid auf der Veranda stand, und so löste sich all die Vorsicht und Planung in einem einzigen Moment in Luft auf. Carter erzählte es seiner Frau, die ihren Mund nicht halten konnte, und schon am Nachmittag darauf wusste die ganze Stadt, dass das Leuchten in Charlie Beales Augen daher kam, dass er der Liebhaber von Mrs. Harrison Boatwright Glass war, und die Leute in der Stadt schüttelten bloß den Kopf und fragten sich erstaunt, wieso sie so lange gebraucht hatten, darauf zu kommen.
    Und wenn man sie gefragt hätte, so hätten sie sich sogar für Charlie gefreut.
    In Städten wie dieser ist nichts geheim, und so wurde Charlie zum Objekt des Klatsches. Selbst Will und Alma hörten davon, notgedrungen. Sie wussten, dass Charlie nichts tun würde, das dem Jungen schaden könnte, aber sie wussten auch, dass die Liebe die Menschen sorglos und gedankenlos macht, und so begannen sie sich bei den Gesprächen, die sie abends im Bett führten, zu fragen, ob es denn gut sei, dass Sam immer noch so viel mit Charlie unterwegs war. Sie redeten darüber, und sie machten sich Gedanken, aber sie warteten. Worauf sie warteten, wussten sie nicht. Sam würde ab Herbst in die Schule gehen. Vielleicht warteten sie ja darauf, einfach, um jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen.
    Beweise gab es nicht. Der Junge hatte nie etwas gesagt. Vielleicht war es ja auch nur Gerede.
    Die beiden alten Schwestern wussten es. Wenigstens wussten sie etwas , auch wenn sie sich nicht ganz sicher waren, was. Sein Name war in aller Munde, wie es so schön heißt. Eines Tages hielten sie ihn auf der Straße an, als er mittags von der Metzgerei nach Hause zum Essen ging.

    »Es ist Baseball-Zeit, Mister Beale«, sagte Miss Allie, die eine oder die andere. Beide hatten rote Kostüme an, dünne Frauen in teuren Klamotten, jede trug ein schweres goldenes Bettelarmband, die eine am rechten, die andere am linken Arm. Und an jedem Armband baumelten Dutzende von Anhängern, schwere, klimpernde Dinger. Die trugen sie immer, damit jeder hörte, dass sie im Anmarsch waren, noch bevor man sie sehen konnte. Das wusste Charlie. »Sie müssen den Jungs Baseball beibringen«, sagte die eine.
    »Und einigen der Mädchen auch, wenn Sie wollen, Mister Beale«, sagte die andere.
    »Ja. Einigen Mädchen. Vielleicht sogar einigen alten Jungfern.« Sie lachten genau das gleiche Lachen, und ihre dünnen Zähne in den alten Mündern schimmerten blauweiß wie entrahmte Milch. Wenn sie lächelten, sahen sie aus wie hundert oder wie achtzehn, und ihre Gesichter legten sich in abertausend Fältchen, die von ihrer Freude sprachen, von Jahrzehnten der Freude, die sie darüber empfanden, dass sie sich gegenseitig Gesellschaft

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