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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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zurückzubekommen, und doch hoffte er  – so insgeheim, dass er es sich selbst niemals eingestanden oder seinem Tagebuch anvertraut hätte  –, dass sie eines Tages Boaty Glass verlassen und seine Frau werden würde. Er wollte sie, und erst als sie alles besaß, was er einmal besessen hatte, fühlte er sich ganz froh und frei. Wenn sie jetzt auf dem Land spazieren ging, das sie in seinem Herzen bewohnte, wenn sie in seinem Haus lebte, dann war ihre Freude an ihren Feldern, ihren Bächen und Wäldern auch seine Freude, tief in seinem Innern.
    Sylvan begriff nicht das Ausmaß dessen, was er tat. Sie wusste nicht, dass sie praktisch in jeder Hinsicht die reichste Frau im ganzen County war. Der Besitz von nahezu viertausend Morgen Land war für sie einfach nur ein schlichtes Vergnügen, so als würde sie die klimpernden Armreifen
anlegen, die er ihr hätte schenken können. Was er bestimmt getan hätte, wäre es möglich gewesen.
    Geschenke von einem Liebhaber. Einfache Dinge. Schlamm und Bäche und Magnolien und Hartriegelsträucher, für sie war alles gleich, und wenn sie die Dielen auf dem Dachboden, unter denen sie ihre Besitzurkunden versteckt hatte, beiseite schob und sich das alles anschaute, dann funkelte es vor ihren Augen wie Talmi. Das war Sylvans Land. Mehr als viertausend Morgen, und nicht schwerer als ein billiges Armband an ihrem Handgelenk.
    »Danke«, sagte sie dann, sie sagte es oft, und immer gab er ihr zur Antwort: »Keine Ursache.« Und es war auch keine Ursache, denn für ihn war es nichts im Vergleich zu dem wohligen Schmerz, dem Aufruhr, den die Liebe zu ihr in ihm entfachte, nichts im Vergleich zu dem Ausdruck in ihren Augen, wenn sie in dieser ganz bestimmten Art zu ihm aufblickte, dieser Art, die ihm sagte, dass alles gut werden würde, dass alles gut war , und er glaubte ihr, so wie wir immer das glauben, was uns die Menschen sagen, die wir lieben.
    Doch wenn er dann des Nachts in seinem schmalen Bett lag  – nachdem er gerade erst mit ihr geschlafen hatte oder, schlimmer, an den Abenden, an denen er sie nicht hatte sehen können und wusste, dass es noch Tage dauern würde  –, dann spürte er, dass es nicht genug war. Auf der ganzen Welt gab es nicht genug Land, um ihr zu sagen, was er empfand, um sie davon zu überzeugen, und so zeichnete er sie, wieder und wieder, und keines der Bilder ähnelte ihr. Es gab in seiner Schachtel keinen Buntstift für das Flechtengrün ihrer Augen, für den Bernsteinschimmer ihres Haares, wenn sie sich ihm bei Sonnenuntergang unter den Kiefern hingab, es gab keine Farbe für das Drängen in ihm, für die Atemlosigkeit, die Hast, mit der sie sich liebten, für sein Begehren,
denn er wusste, was sie beide wussten  – wenn der Sonnenuntergang am schönsten war, würde alles zu Ende sein, dann würde sie nach Hause gehen und, war es erst dunkel, unerreichbar für ihn sein.
    An den Rand seines Tagebuchs schrieb er oft Verse aus Gedichten, die er noch aus der Schulzeit in Erinnerung hatte: »In Xanadu Khan Kublai ließ/ein prächtges Lustschloss sich erbauen …« Nimm mein Herz, dachte er dann. Es ist dein Xanadu. Erbaue es hier.
    Und selbst auf die Bibel, auf das Hohelied der Liebe, griff er zurück: »Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm«, oder es waren Erinnerungsfetzen, die gar nichts mit ihr zu tun hatten, bloß dass alles, jedes Wort, eigentlich mit ihr zu tun hatte. In seinem Leben war sie überall.
    Er zeichnete sich selbst, mit der Klippe im Hintergrund, erstarrt in der Bewegung wie Karl der Kojote aus dem Looney-Tunes-Comic, einen Schritt vom festen Boden entfernt, kurz vor dem Sturz, dem schnellen Fall, der mit drastischen Strichen in der Luft zeigte, wo kurz vorher noch sein Körper gewesen war. Das war Charlie zu jener Zeit, alles war gleich, und doch veränderte sich alles. Alles hatte er verloren und doch die Welt gewonnen, denn für ihn war sie nicht einfach eine Frau. Für ihn war sie die Welt.
    Er dachte an sie, wenn er sie zeichnete und ihren Namen schrieb, dachte an die Panik und den Frieden, die ihn in dem Bruchteil einer Sekunde im Moment des Sturzes ereilten. Den Frieden und die Panik.
    Ich will dich. Ich liebe dich. Diese Dinge konnte er nicht einmal sagen. Sie waren nicht erlaubt. Worte wie diese gehörten zu anderen Menschen. Es waren Worte gewöhnlicher Menschen, die ein gewöhnliches Leben führten.

    Es erstaunte ihn immer wieder, dass er selbst ja auch ein gewöhnliches Leben

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