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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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Ihre Füße fanden keinen Halt. Sie konnte keinen Fuß freimachen, bekam Sams Kopf nicht über
Wasser. Es war, als würde er tausend Pfund wiegen. Dann schaffte es Charlie zu ihnen, zog an ihrem sich bauschenden Haar, zerrte sie an Land, und der Schlamm saugte sich an ihren Schuhen fest, riss sie los, und der Junge, der Junge in ihren Armen, jetzt in Charlies Armen, wurde hochgehoben und weitergereicht, zu Raidy Tate, zu Charlie Howard, dann zu seinem Vater, der ihn auf den Boden legte, während Doctor Brush über ihm kniete, und dann wurde alles mucksmäuschenstill, während der Doktor ihn abtastete, abhörte und den Jungen dann auf den Bauch drehte, ihm auf den Rücken klopfte, wieder und wieder vergeblich, wie er den Kopf an seine Brust legte, lauschte und schließlich zu Will und Alma emporblickte und fast unmerklich den Kopf schüttelte. Doch diese Geste sagte alles, was es zu sagen gab. Tot.
    Alma schrie auf, und Will fiel schluchzend auf die Knie, sein einziges Kind, das Licht seines Lebens, und jetzt war es tot, raue Hände strichen die Haare aus Sams Gesicht, als könnte die Sonne ihn mit ihren warmen Strahlen ins Leben zurückrufen, und Alma schrie, fiel den anderen Frauen in die Arme, streckte die Hände nach dem kleinen Körper aus, zu dem ihre Beine sie nicht zu tragen vermochten, kämpfte sich von den Frauen frei, die sie in ihrer plötzlichen, ewigen Trauer einschlossen.
    Charlies Gesicht war nass von Tränen und von Schweiß. Von Schuldgefühlen. Das war das Ergebnis seines Geburtstagszaubertricks für Sam  – dieser kleine Körper, tot, mit nur noch einem Schuh am Fuß, einer Socke, tot. Sylvan wandte sich ab, dankbar zum allerersten Mal um die Arme ihres dicken Ehemannes, seine schwere Schulter, sodass sie nicht sah, was als Nächstes geschah, nicht sah, wie Charlie Will beiseite schob, sich über den Jungen beugte und dann auf die Knie fiel, indem er den schmalen Körper fest zwischen
seine Knie packte, hochhob und ihn dann an seine Brust drückte, wie er ihn dann sanft wieder sinken ließ, den feuchten und dunklen Abdruck des nassen Körpers auf seinem Hemd.
    Sylvan sah nicht, wie Charlie sich vorbeugte und dem Jungen etwas ins Ohr flüsterte, etwas, das eine Weile dauerte und das niemand sonst hörte, obwohl die Leute hinterher viel Zeit damit verbrachten zu erraten, was es wohl gewesen war  – ein Gebet, ein Gedicht, eine Entschuldigung, ein Bibelvers.
    Sylvan sah nicht, wie Charlie dann sein Gesicht dem Gesicht des Jungen näherte und ihm einen langen Kuss gab. Mund zu Mund hielt er seine Lippen ganze dreißig Sekunden lang an die des Jungen, die Frauen heulten und klagten, Will lag noch immer mit gesenktem Blick auf den Knien, sein Atem schwer und nass an seiner Brust, und die Augenlider, hinter denen die Tränen hervorquollen, geschlossen.
    Sie sah nicht, wie sich die Augen des Jungen öffneten, wie Wasser aus seinem Mund quoll, doch sie hörte, was alle hörten, die schwache Stimme des Jungen, in einer Mischung aus Angst und Verwunderung, als er das erste Wort seines neuen Lebens sagte.
    »Beebo?«, fragte er, blickte zu Charlie auf und rief dann, sich von ihm abwendend, »Mama? Mama?« Und er lebte wieder, das Rosa seines Blutes spülte das Blau aus seinen Adern und seiner Haut, aus seinen Fingerspitzen. Er lebte, wo er doch eigentlich schon tot gewesen war, und die Menge teilte sich, als die Frauen Alma losließen und sie nach vorne stürzte, während Charlie aufsprang und zu dem Schatten der Weide lief, um all die Kaugummis aus den Ästen zu reißen und ins Wasser zu werfen. In der Menge wurde es still, der Junge lebte, und die Männer und Frauen wussten,
was auch immer von nun an geschah, würde etwas sein, das nach dem passierte, was sie an diesem Tag erlebt hatten. Dieses Ereignis, für das sie keinen Namen wussten; nur einige Leute wussten ihn und nannten die Sache beim Namen, obwohl ihnen das Angst machte, und sie tun es noch immer, wenn sie erzählen, dass sie dort waren, dass sie es mit eigenen Augen gesehen hatten, das Flüstern und den Kuss und wie der Junge ins Leben zurückgekehrt war, und dann machen sie einfach eine Pause in ihrer Erzählung und schütteln den Kopf angesichts dieses Geschehens, das doch nichts anderes war als  – ein Wunder.
    Alles in dieser Stadt, in diesem County, in der Geschichte und im Leben dieser Menschen, die dort waren und derer, die nicht dort waren, alles war vor diesem Kuss  – die Musik, das Mädchen aus Knoxville, das anmutige oder

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