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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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waren an ihre Kapriolen gewöhnt, daran, dass sie die Nase ziemlich hoch trug, doch irgendwie war dieses grüne Kleid auf diesem Feld, in diesen Schuhen, an diesem Nachmittag einfach zu viel des Guten.
    Wer dachte sie eigentlich, dass sie war  – und wer war sie überhaupt? Und wie lange würde es noch dauern, bis Boaty ihr auf die Schliche kam? Am einfachsten bekommt man ein Geheimnis heraus, wenn man jemanden fragt, der denjenigen, um den sich das Geheimnis dreht, nicht mag. Und eine Menge Leute mochten Sylvan Glass nicht, zumindest mochten sie sie nicht in diesem Moment. Allerdings würde sich das ändern, als das geschah, was geschah, als sie tat, was sie tun würde, denn sie war die Erste, die Mutigste, sie bewirkte zwar nicht das Wunder, aber sie handelte als Erste und tat das Richtige. Für kurze Zeit würde sie ihnen eine Menge bedeuten, diesen Leuten, und man würde ihr mit Liebenswürdigkeit begegnen, aber nur für kurze Zeit, denn danach tat sie etwas anderes.
    Und Folgendes geschah: Etwa um drei Uhr nachmittags,
als Charlie und Will gerade die Spanferkel vom Spieß nehmen und sie zum Zerteilen auf die Marmorplatten legen wollten, die sie vom Steinmetz Coffrey zu diesem Zweck geborgt hatten, sah Sam ganz oben in seinem Wunderbaum ein Kaugummi, das er unbedingt haben wollte. Es waren viele Kinder auf die Geburtstagsparty gekommen, und die unteren Äste waren bereits ziemlich leergepflückt. Da alle am Plaudern und hungrig waren, sah niemand, wie Sam auf den Ast hinaufkletterte, der weit über den Fluss hinausragte, doch sie hörten das laute Beben, das durch den Baum ging, und das scharfe Knacken, als der Ast der Weide, der jetzt im Spätsommer knochentrocken war, brach, und auch wenn sie ihn nicht fallen sahen, hörten sie das Platschen, und sie hörten den dumpfen Aufprall des Astes, der Sam am Kopf traf, als er ins Wasser fiel, und sahen die Blutwolke, die sich im Wasser ausbreitete, als der Junge unterging. So schnell kann eine solche Tragödie passieren. Wenn man nur ein Mal kurz wegschaut. Nur ein Blick, den man abwendet, und dann irgendetwas, das man im Augenwinkel wahrnimmt und das ganz und gar fehl am Platze ist. Der Hund und das Auto. Die Messerklinge und dein Finger. Ein Atemzug. Ein Lidschlag.
    Alle liefen los, obwohl sie den Jungen gar nicht fallen gesehen, sondern nur gehört hatten, wie der Ast brach. Einige der Frauen schrien. Die Musik hörte abrupt zu spielen auf. Charlie rannte in Richtung Fluss, und er war der schnellste Läufer von allen, doch Sylvan war vor ihm da, sie war bereits im Wasser und tauchte, und so konnte Charlie nur ins seichte Wasser springen und versuchen, den Jungen zu entdecken, wobei er völlig sinnlos seinen Namen rief, so wie alle ihn riefen. Hier war die Strömung stark, das wussten alle, und der Junge trieb bereits in großer Geschwindigkeit
flussabwärts im reißenden Strom, wurde gegen Felsen geschleudert, auf den Grund hinabgezogen.
    Nein, es war Sylvan, die hinabtauchte, dieses zwanzigjährige Mädchen, in einem grünen Seidenkleid wie aus dem Film, mit kariertem Futter, und ihr Körper schoss wie eine Messerklinge ins Wasser. Wie ein flinker, grüner Strich im sprudelnden, wirbelnden blaugrünen Wasser, und dann waren sie beide verschwunden.
    In dem grünen, wilden Wasser konnte sie nichts erkennen, denn das Licht war trüb und wurde von den Blättern an den Bäumen und einer Wolke am Himmel verdunkelt. Sie folgte der Strömung, ließ sich mitreißen, schwamm mit kräftigen Zügen hindurch, weil sie wusste, dass der Junge denselben Weg nahm. Es gab nur eine mögliche Richtung, und der Fluss würde entscheiden, wo sie landen würden. Sie schwamm mit großen Schmetterlingsschlägen durch das Wasser, versuchte den Zipfel eines Hemdes zu erwischen, einen Schuh, eine Hand, die nach hinten hing.
    Eine Minute. Zwei Minuten. Sie schoss an die Oberfläche, um Luft zu holen, tauchte wieder ab, und dann fand sie ihn, direkt unter ihr. Er hing an der Feder einer alten Matratze fest, bereits schlaff, leblos. Sie zog, konnte ihn aber nicht losmachen. Sie zog noch einmal, drehte sich dann im Wasser und stemmte den Fuß gegen die Matratze, aus der flinke, grüne kleine Schlangen herausschossen und um sie herumflitzten. Sie packte Sam an den Schultern, zog, und dann konnte sie ihn endlich befreien, ein Turnschuh blieb zurück, seine Schnürsenkel trieben im Wasser wie geisterhafte Luftschlangen.
    Der Schlamm am Flussufer war weich, wie noch nicht erstarrter Kuchenguss.

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