Ein Winter mit Baudelaire
flüstert Philippe.
Mit der freien Hand krault er ihm eine Backe und den Hals und streicht ihm die Ohren glatt. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, blinzelt der Hund und fängt an, leise schnorchelnde Töne von sich zu geben.
Philippe steht auf und nimmt seine Tasche. Den Blick fest auf ihn gerichtet, weicht der Hund mit hängendem Kopf und eingezogenem Schwanz ein paar Schritte zurück.
Philippe legt sich den Gurt der Tasche über die Schulter, macht Anstalten, zu gehen, hält inne, dreht sich um. Der Hund sieht ihn unverwandt an.
Mit einem einladenden Nicken bedeutet ihm Philippe, mitzukommen. Schwanzwedelnd läuft der Hund zu ihm, und sie setzen gemeinsam ihren Weg fort.
Zu vermieten
Eine gute halbe Stunde laufen sie Seite an Seite durch die Straßen. Der Hund ist hellwach, sieht ständig nach links und nach rechts, die Ohren aufgestellt, die Nase in Alarmbereitschaft.
Als Philippe an einer Kreuzung links gehen will, bleibt er stehen und sieht ihn schwanzwedelnd an.
»Was ist los?«
Er bellt. Philippe streichelt ihm über den Kopf.
»Na, was willst du mir sagen?«
Der Hund geht drei Schritte nach rechts auf die andere Straße zu und hält inne, als würde er auf ihn warten.
»Da willst du hin?«, fragt Philippe mit ausgestrecktem Zeigefinger.
Der Hund bellt und wedelt, auf der Stelle tänzelnd, kräftig mit dem Schwanz.
»Okay, dann mal los …«
Er folgt dem Hund, der ihm bald ein gutes Stück vorausläuft. Er geht, so schnell er kann, die Hände gegen die Rippen gepresst.
Der Hund biegt nach rechts ab, dann nach links, wieder nach links, wieder nach rechts.
»Wo führst du mich denn bloß hin?«
An jeder Straßenecke setzt sich das Tier hin, bellt und wartet auf Philippe.
»Ist ja schon gut, ich komm ja schon …«
Schließlich gelangen sie auf eine Avenue. Der Hund fängt an zu rennen und verschwindet plötzlich in einer Mauervertiefung. Er scheint irgendwo hineingelaufen zu sein. Als Philippe die Stelle erreicht, entdeckt er einen kleinen Laden, dessen Eingangsbereich um mehrere Stufen erhöht ist und einen drei Meter breiten, zwei Meter tiefen, geschwungenen Absatz bildet. Auf diesem Podest thront der Hund und wedelt mit dem Schwanz über den Boden. Im Schaufenster hängt ein Schild: »Zu vermieten.«
Dank seiner Lage ist es ein windgeschütztes Eckchen. Philippe lächelt kopfschüttelnd und geht die drei Stufen hinauf, die ihn von dem Hund trennen. Er stellt seine Tasche ab, setzt sich neben ihn. Er legt ihm den Arm um den Hals, gibt ihm einen Kuss und drückt ihn mehrmals fest an sich. Dann holt er seine Sachen heraus und bereitet das Nachtlager vor: Kartons für den Boden, Schlafsack, das restliche Gepäck als Kopfkissen.
Als Philippe in seinen Schlafsack gemummt dasitzt, legt sich der Hund neben ihn, den Kopf zur Straße gewandt. Philippe öffnet noch einmal seine Tasche, nimmt einen Pullover heraus und deckt den Hund damit fürsorglich zu.
Als er schließlich einschläft, schaut sein neuer Begleiter immer noch wachsam in die Dunkelheit.
Klingende Münze
Ein metallisches Klimpern holt ihn aus dem Schlaf. Es ist neun Uhr morgens.
Auf einen Ellbogen gestützt, richtet er sich mühsam auf, rutscht mit dem Becken zurück und lehnt sich an die Glastür des Geschäfts.
Der Hund sitzt der Straße zugewandt auf dem Bürgersteig. Sobald jemand vorbeikommt, fixiert er ihn mit aufgerichteten Ohren und leicht geneigtem Kopf. Manche Passanten ignorieren ihn komplett, andere gehen lächelnd weiter oder kramen in ihren Taschen und lassen ein Geldstück auf die zweite Treppenstufe fallen. Der Aufprall der Münzen erzeugt das klimpernde Geräusch.
Philippe sieht dem Hund interessiert zu. Nach einigen erfolglosen Versuchen konzentriert sich das Tier auf einen hastig vorbeieilenden Anzug-Krawatte-Aktenkoffer-Typen um die dreißig. Der Blick des jungdynamischen Angestellten geht zunächst über ihn hinweg, als sähe er ihn gar nicht. Doch nachdem er den Kopf schon fast weggedreht hat, sieht er wieder hin, runzelt leicht die Stirn, schmunzelt, läuft weiter, schiebt die Hände in die Hosentaschen, macht kehrt, bückt sich und legt ein Zwei-Euro-Stück auf das Treppchen. Der Hund hat jede seiner Gesten verfolgt.
»Ihr Hund ist einfach unglaublich!«, sagt er lächelnd zu Philippe.
Der Hund schmiegt sich an sein Herrchen und leckt ihm das Gesicht. Philippe streichelt ihn.
»Jedenfalls liebt er Sie ganz offensichtlich … Wenn meine Frau nur ein bisschen so wäre wie er …«, fügt er hinzu, und
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