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Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)

Titel: Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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einem Graben neben der Straße eine Reihe ähnlich gekleideter Männer, vielleicht dreißig an der Zahl, mit Schaufeln und Hacken und anderen Zerstörungswerkzeugen arbeiteten. Es sah aus wie eine Sträflingskolonne, bis hinunter zu dem großen Kerl in beiger Strumpfhose und rostbrauner Tunika mit Schweißflecken um die Armlöcher und Schwert an derHüfte. Der einzige Grund, weshalb er keine verspiegelte Sonnenbrille auf der Nase hatte, war, dass die noch nicht erfunden war.
    Mein junger Freund mit dem Schwert folgte meinem Blick. »Diebe.«
    »Was haben sie gestohlen?«, fragte ich.
    »Mein Geburtsrecht. Und sie stehlen es noch.«
    Einige der Männer waren dabei, ausgehöhlte Baumstämme in den Graben zu verlegen, die, durch Pech miteinander verbunden, eine primitive Rohrleitung bilden würden.
    »Wasser«, sagte ich mit dem starken Wunsch, ich hätte auch welches.
    »Die Sonne hat dich nicht so verbrannt, dass sie dir auch den Verstand geraubt hätte«, sagte der Mann.
    Da erkannte ich ihn, oder besser, ich erkannte die Ähnlichkeit mit seinem Vater und seinem Bruder Ash. Mühsam rappelte ich mich auf die Füße und drehte mich um. Hinter mir erstreckte sich die staubige Straße schnurgerade zwischen weiten Feldern, auf denen in grünen Streifen Getreide stand. Ein steter Strom von Menschen, Karren, Pferden und Vieh schob sich einem dunstig-orangen Horizont entgegen, vor dem sich der hohe gotische Kirchturm der St. Paul’s Cathedral abzeichnete. Dies war London, dies war die Oxford Road, und der junge Mann mit dem Schwert war der originale Tyburn aus der guten alten Zeit, als das Flüsschen noch aus den Hampstead Hills heransprudelte, um den Durst der Massen zu stillen, die kamen, um sich die Hinrichtungen anzusehen. Nur dass es jetzt offensichtlich auf königliches Geheiß hin abgeleitet wurde, um die vierzigtausend durstigen Kehlen Londons zu erfrischen.
    Ich war nicht an einen anderen Ort versetzt worden. Ich war nur achthundert Jahre zu früh ausgegraben worden.
    »Sie sind Tyburn«, sagte ich.
    »Sir Tyburn«, gab er zurück. »Und du bist Peter vom Peckwater Estate, der Zauberlehrling.«
    »Scheiße«, sagte ich. »Das ist doch eine Halluzination.«
    »Bist du dir dessen gewiss?«
    »Ich war mal bei einer Chaucer-Lesung. Da hab ich bloß jedes fünfte Wort verstanden, und außerdem gibt’s da dieses Ding, das man frühneuenglische Vokalverschiebung nennt – mit anderen Worten, früher hat man das alles auch noch anders ausgesprochen. Wenn ich also alles verstehe, heißt das, ich stecke immer noch in diesem Loch.« Und wenn ich jetzt noch anfing, Golden Years von David Bowie zu singen, sollte mich besser jemand erschießen.
    Ich sah in den Graben hinunter, aus dem Tyburn und seine wackeren Gesellen mich gezogen hatten. Am Grund war ein gezacktes Loch, kaum größer als eine Katzenklappe.
    »Da du in der Tat feststeckst und dir selbst nicht helfen kannst, spielt es da eine so große Rolle, wo du auf Rettung wartest?«, fragte Tyburn. »Und ich für meinen Teil komme mir recht wirklich vor.«
    »Sie könnten ein Geist sein«, sagte ich, musterte das Loch und fragte mich, ob ich besser mit dem Kopf oder den Füßen voraus hineinspringen sollte. »Oder eine Art Echo in der Erinnerung der Stadt.« Ich musste mir wirklich mal ein paar knackigere Begriffe für all dieses Zeug ausdenken.
    Ich sprang in den Graben. Der Boden bestand aus weichem, klebrigem Londoner Lehm.
    »Wir könnten ein Boot nach Southwark nehmen«, schlug Tyburn vor. »Zu den freien Töchtern, der Lust frönen – unsein paar heiße Mädels aus Flandern suchen. Ach, komm schon«, bat er. »Wir könnten so viel Spaß haben, und ich bin …« Er verstummte.
    »Sie sind was?«
    »Ich bin hier so allein. Schon sehr lange, glaube ich.«
    Wahrscheinlich, seit du um 1850 unter einer Flut Scheiße begraben wurdest, zumindest behauptet das dein Vater.
    »Jetzt sagen Sie Sachen, an die ich gerade gedacht habe«, sagte ich. »Sie verstehen, warum ich misstrauisch bin.«
    Deswegen ist Magie sogar noch schlimmer als Quantenphysik. Weil zwar beide dem gesunden Menschenverstand ins Gesicht spucken, aber ich habe noch nie erlebt, dass ein Higgs-Teilchen ankam und sich mit mir unterhalten wollte.
    »Hast du das gehört?«, fragte Tyburn.
    Ich wollte schon fragen, was, da hörte ich es auch – ein langgezogener Klageschrei aus der Richtung, in der London lag. Mir lief ein Schauder den Rücken hinunter. »Was ist das?«
    Der Klageschrei ertönte ein zweites Mal,

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