Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
mit Magie gerufen.«
»Ich hab Sie gerochen, Kleiner«, sagte sie. »Sie haben mir die Wasserkanäle vollgestunken, und ich hätte Sie fast Ihrem Schicksal überlassen, aber ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass Sie tot womöglich noch schlimmer gerochen hätten.«
Sie beugte sich herab, bis ihre Lippen an meinem Ohr waren. Ihr Atem roch nach Muskat und Safran. »Eines Tages«, flüsterte sie, »werde ich Sie um einen Gefallen bitten, und Sie wissen, was Sie dann zu antworten haben?«
»Natürlich, Ma’am, sehr wohl, Ma’am, zu Befehl, Ma’am.«
»Ich betrachte Sie nur dann als Feind, wenn Sie mir in die Quere kommen, Peter«, sagte sie. »Falls Sie mir also je in die Quere kommen, dann sollten Sie sich vorher darüber klar geworden sein, ob Sie mein Feind sein wollen.«
Sie richtete sich auf, und bevor mir eine passende Antwort einfiel, war sie verschwunden.
22
Warren Street
Ich gehöre nicht zu den Leuten, die unter allen Umständen behaupten, es gehe ihnen wunderbar, und versuchen, aus dem Krankenhausbett zu klettern. Wenn man sich so mies fühlte wie ich das tat, ist das ein unmissverständliches Signal des Körpers, dass man verdammt noch mal liegenbleiben und Flüssigkeit zu sich nehmen soll – am besten intravenös –, und so tat ich das.
Ich war etwas überrascht, dass man mich ins University College Hospital brachte, denn das war nicht gerade die nächste Notaufnahme – bis Dr. Walid in meine Untersuchungskabine trat und begann, unheilvoll dem Assistenzarzt über die Schulter zu schauen, der meine diversen Schürfwunden, Prellungen, Schnitte und mögliche Unterkühlung behandelte.
Der Assistenzarzt, der – dem Akzent nach zu schließen von seinen Eltern – lässige Selbstsicherheit und eine tadellose Privatschulerziehung mit auf den Weg bekommen hatte, versuchte tapfer, seine professionelle Unbekümmertheit zu wahren. Aber so ein einsachtzig großer drahtiger Schotte schräg hinter einem kann etwas sehr Einschüchterndes haben. Nachdem der Arzt eine Schwester gerufen hatte, die mir die eigentlichen Verbände anlegen sollte, schenkte ermir noch ein routiniertes Ärztelächeln und machte, dass er fortkam.
Tagsüber ist Dr. Walid ein weltbekannter Gastroenterologe, aber zu nächtlicher Stunde wirft er sich seinen gruseligen weißen Kittel über und wird zu Englands brillantestem Experten für Kryptopathologie. Alles Abstruse und Unheimliche, was irgendwo eingefangen wird, ob lebendig oder tot, wird von ihm untersucht – einschließlich meiner Wenigkeit und Lesley.
»Guten Abend, Peter«, begrüßte er mich. »Ich hatte eigentlich gehofft, Sie würden es heil in die Weihnachtsfeiertage schaffen.«
Er war der Fünfte, der mir in die Augen leuchtete, um meine Pupillenreaktion zu testen. Oder vielleicht ging es ihm auch um etwas anderes.
»Heißt das, Sie wollen mich wieder ins MRT stecken?«
»Oh ja«, antwortete Dr. Walid, offenkundig von Vorfreude erfüllt. »Dank Ihnen und Lesley bekomme ich endlich ein paar anständige Daten darüber, was mit dem Gehirn vorgeht, wenn man ein Praktizierender wird.«
»Ist was dabei, was ich wissen sollte?«
»Kann ich noch nicht sagen. Aber ich will Sie so schnell wie möglich in der Röhre haben. Heute Nachmittag muss ich eigentlich schon im Zug nach Glasgow sitzen.«
»Fahren Sie über Weihnachten heim?«
Dr. Walid setzte sich auf den Bettrand und kritzelte etwas in einen Notizblock. »Weihnachten verbringe ich immer zu Hause in Oban.«
»Also ist der Rest Ihrer Familie nicht muslimisch?«
Er grinste. »Oh nein. Samt und sonders treue Mitglieder der Kirk of Scotland. Sehr strenge, ernste Leute, außer zudieser Jahreszeit. Sie feiern Weihnachten, und ich feiere sie. Außerdem bin ich derjenige, der den Vogel dabeihat.«
»Sie bringen den Truthahn mit?«
»Natürlich. Ich muss ja sichergehen, dass er halal ist.«
Dr. Walid hielt Wort. Ich wurde in einen Rollstuhl verfrachtet und ab ging es in die Röntgenabteilung, wo ich mal wieder ins MRT eingefahren wurde. So eine Kernspinuntersuchung ist höllisch teuer, und die Warteliste gilt als geheiligtes Dokument, aber Dr. Walid scheint sich nach Belieben darüber hinwegsetzen zu können. Als ich ihn fragte, woher seine außergewöhnlichen Privilegien kämen, erklärte er, das Folly trage durch eine 1872 gegründete Stiftung zum Unterhalt des Krankenhauses bei, und im Gegenzug sei sichergestellt, dass er sich vordrängen durfte, wenn nicht gerade ein Notfall anstand.
Die zuständigen
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