Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
wortlos, zornig, voller Wut und Selbstmitleid.
»Du weißt, wer das ist«, sagte Tyburn. »Deinetwegen ist er dort, du hast ihn an die Brücke gefesselt.«
Probeweise schob ich einen Fuß in das Loch. Er wurde mit einem unangenehm organischen Saugen festgehalten.
Beim dritten Mal war der Klagelaut schwächer und wurde schnell vom Wind und dem Lärmen der Menge verschluckt.
»Früher oder später wirst du den hakennasigen Bastard freilassen müssen«, sagte Tyburn.
Jetzt bestimmt nicht, dachte ich.
»Ich will nicht mit geschlossenen Augen in einem Loch sterben«, sagte ich und bohrte meinen Fuß bis zum Knöchel in den Lehm.
Tyburn sprang neben mir in den Graben. »Tu das nicht. Ich weiß eine bessere Methode.«
»Ach ja? Und welche?«
»Diese.« Und er hieb mir den Schwertknauf über den Schädel.
Ich bereute meine Entscheidung, kaum dass ich in der Finsternis die Augen öffnete und Wasser um meine Knie schwappen fühlte. Ich fror – wenn man sich nicht bewegt, kann auch ein Neoprenanzug einen nicht warm halten.
Ich fragte mich, ob ich nicht ein wenig übereilt gehandelt hatte. Was war besser, in einem Traum von Sonnenschein und Wärme zu sterben oder in eisiger realer Finsternis? In glückseliger Ignoranz oder im Grauen des Wissens?
Die Antwort des Londoners ist natürlich: Am allerbesten überhaupt nicht.
Das war der Moment, in dem ich mir den lächerlichsten Plan ausdachte, seit ich damals die Zeugenaussage eines Geistes aufgenommen hatte. Er war so dämlich, dass selbst der Einfaltspinsel Baldrick ihn postwendend verworfen hätte.
Ich würde versuchen, mit meinen Gedanken Toby den Hund zu kontaktieren. Oder nicht direkt mit meinen Gedanken – das träfe es nicht ganz. Seit der Zeit, als Molly mich auf meinen kleinen Ausflug in die Vergangenheit Londons geschickt hatte, hatte ich die Vermutung, dass all die angesammelten Vestigia , aus denen die Geister der Stadt ihre Kraft zogen, irgendwie miteinander verbunden waren. Zumindest wurden definitiv Informationen von Ort zuOrt weitergegeben. Wie durch ein magisches Internet. Wie sonst hätte ich so viel von der Stadt sehen können, wo mein physischer Körper doch im Folly geblieben war? Meine Überlegungen waren in etwa die folgenden: Wenn ich eine Art formloser Forma erschüfe, stark genug, dass sie in den Stein überginge, dann müsste es möglich sein, ein Signal auszusenden – ein Leuchtfeuer, das sich durch den Stein fortpflanzen und vielleicht einem gewissen mir bekannten Hund mit einer besonders scharfen Spürnase auffallen würde. Der sodann ausdrucksvoll bellen und, so schnell seine kurzen Beine ihn trugen, nach Oxford Circus eilen würde. Dort würde er emsig im Schutt herumschnüffeln, und ein besonders aufmerksamer Einsatzhelfer würde sagen: Wartet mal, Jungs, ich glaube, der Köter hat was gefunden.
Habe ich schon erwähnt, dass es der dämlichste Plan seit Menschengedenken war? Toby nahm ich mir deshalb zum Ziel, weil eine meiner ersten Aktionen, nachdem Lesley mein Mitlehrling geworden war, darin bestanden hatte, ein Set ESP-Karten zu kaufen und zu untersuchen, ob es mit Hilfe von Magie möglich war, Gedanken zu übertragen. So verbrachten Lesley, Dr. Walid und ich einen lustigen Nachmittag damit, ein paar schwachsinnige Telepathie-Experimente aus den sechziger und siebziger Jahren nachzustellen – mit enttäuschendem Ergebnis. Selbst das Experiment, in dem ich herauszufinden versuchte, welche Forma Lesley gerade erschuf, funktionierte nicht so recht, weil ich die magische »Gestalt« zwar spürte, aber keine Ahnung hatte, wie sie aussah. Und außerdem klappte selbst das nur dann, wenn wir weniger als einen Meter voneinander entfernt standen.
Also keine Gedankenübertragung. Das hasse ich an der Wissenschaft – die negativen Ergebnisse.
Aber Toby war erwiesenermaßen sensitiv für Magie. Und ich war immer der Ansicht gewesen, dass er und ich eine besondere Affinität zueinander hatten. Und das Wasser stand mir zwar noch nicht bis zum Hals, aber immerhin bis zu den Rippen, und ich wusste mir keinen anderen Rat.
Ich holte tief Luft und erschuf im Kopf eine Forma . Sie hatte Ähnlichkeit mit Lux , womit man Werlichter und – mit leichten Abwandlungen – Feuerbälle, Skin-Granaten und eine Art extrem heißer Flamme erschaffen kann, von der ich hoffte, dass ich damit irgendwann einmal Stahl durchdringen könnte, sobald ich es schaffte, die Hitze in eine einzige Richtung zu lenken. Nightingale gegenüber erwähnte ich meine kleinen
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