Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
mit dem Skygarden Tower, Strombergs bösem Gedicht aus Beton und Kargheit, ein Rennen um die markantere Silhouette liefert. Trotz der tiefhängenden Wolken sah man, wie dahinter die Lichter der Stadt immer spärlicher wurden und sich in den North Downs verloren. Wenn ich mich umdrehte, blickte ich genau über das Straßengewirr des Zentrums bis dorthin, wo eine perspektivische Täuschung das London Eye und die Houses of Parliament seltsam verzerrte. In jeder größeren Straße glitzerte die Weihnachtsdekoration und wurde vom frischen Schnee reflektiert. Ich hätte hier Stunden verbringen können, aber es war so kalt, dass ich mir den Arsch abfror, und außerdem hatte ich eine Aufgabe. Ich sollte herumschnüffeln.
Der Balkon war L-förmig; der Teil vor dem Wohnzimmer war der breitere, wohl damit man dort im Sommer seinen Fünf-Uhr-Tee trinken konnte. Der schmalere, längere Teil verlief an den übrigen Zimmern entlang. Aus den Grundrissplänen, die wir auf der Website eines Wohnungsmaklers gefunden hatten, wussten wir, dass alle Zimmer außer dem Bad Türen zum Balkon hatten, und da wir Polizisten waren, wussten wir auch, dass die Chance, dass diese Türen hier, dreißig Stockwerke über dem Erdboden, abgeschlossen waren, sehr gering war. Der Balkon war keinenhalben Meter breit, und trotz der taillenhohen Brüstung wurde mir ein bisschen schwindlig, wenn ich die Augen zu sehr nach links wandern ließ. Da ich annahm, dass die Pflegerin das kleinere der beiden Schlafzimmer bewohnte, ging ich bis ganz ans Ende des Balkons, wo sich wieder mal einer der U-Boot-Notausgänge befand. Ich zog mir die Handschuhe über und versuchte die Schiebetür zum Schlafzimmer zu öffnen – sie glitt ermutigend geräuschlos zur Seite. Ich trat ein.
Die Tür zum Flur stand offen, aber da dort kein Licht brannte, war es im Zimmer zu dunkel, um etwas zu sehen. Egal, ich war auch nicht hier, um meine Augen zu benutzen. Im Zimmer herrschte eine stickige Krankenhausatmosphäre, überlagert von Talkumpuder und seltsamerweise Chanel No. 5. Ich holte tief Luft und versuchte irgendwelche Vestigia zu erspüren.
Nichts. Oder jedenfalls nichts Offensichtliches.
Ich war nicht so erfahren wie Nightingale, aber ich hätte gewettet, dass in dieser Wohnung nichts Magisches passiert war, seit man sie gebaut hatte.
Enttäuscht schob ich mich vorsichtig nach vorn, bis ich durch die Tür den Flur entlang bis ins Wohnzimmer sehen konnte, wo Lesley noch immer ihre Fragen stellte. Sie schien es geschafft zu haben, Woodville-Gentles Interesse zu wecken. Der alte Mann hatte sich in seinem Rollstuhl vorgebeugt und starrte auf – wie ich mit einem Schock erkannte – Lesleys unmaskiertes Gesicht. Auch Varenka schien fasziniert, ich hörte sie etwas fragen und sah, wie Lesleys missgestalteter Mund die Antwort formte. Sie hatte mal gewitzelt, im Notfall könne sie immer eine Ablenkung schaffen, indem sie die Maske abnahm, aber ich hätte niegeglaubt, dass sie es tatsächlich tun würde. Woodville-Gentle streckte zögernd die Hand aus, als wolle er ihre Wange berühren, aber sie zog den Kopf weg und legte hastig die Maske wieder an.
Plötzlich bemerkte ich, dass Varenka, die an der Seite stand, sich umgedreht hatte und den Flur entlang zum Schlafzimmer blickte. Ich verhielt mich ganz still. Ich stand im Dunkeln und war mir sicher, dass sie mich nicht bemerken würde, wenn ich mich nicht bewegte.
Sie wandte den Kopf ab und sagte etwas zu Woodville-Gentle. Ich trat einen Schritt beiseite, außer Sicht. Eins zu null für den Ninja aus Kentish Town.
»Was ich nicht alles tue, damit du keinen Ärger kriegst«, sagte Lesley später im Aufzug. Sie meinte das Abnehmen ihrer Maske. »Hat es sich wenigstens gelohnt?«
»Nichts, was ich hätte spüren können.«
»Ich frage mich, warum er den Schlaganfall hatte«, sagte sie. Immerhin war Gehirnschlag eine der vielfältigen reizenden Nebenwirkungen magischer Betätigung. »Wenn so ein Haufen kleiner Schnösel sich der Magie verschrieben hat, müssen zumindest ein paar davon irgendwann bleibende Schäden abgekriegt haben. Vielleicht sollten wir Dr. Walid bitten, in unserem Verdächtigenpool nach Schlaganfällen und Ähnlichem zu suchen.«
»Papierkram ist wirklich deine große Leidenschaft, oder?«
Die Türen öffneten sich, und wir irrten wieder eine Weile durch die eiskalte Parkgarage.
»So fängt man Verbrecher, Peter«, sagte sie. »Mit unermüdlicher Kleinarbeit.«
Ich lachte.
Sie boxte mich in den Arm. »Was
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