Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
referieren, und einer der DCs neben mir murmelte: »Das gibt was zu knabbern.«
Der zweite Tag und noch kein Hauptverdächtiger. Er hatte recht, wir würden die Spuren wohl systematisch durchkauen müssen, bis es irgendwo knackte. Außer natürlich, es gab eine übernatürliche Abkürzung – das wäre dann wohl meine Sternstunde. Vielleicht würden da ein bisschen Respekt und der ein oder andere Stein im Brett für mich herausspringen?
Für den Gedanken hätte ich mir mal besser gleich eine verpassen sollen.
Im nächsten Moment stellte Seawoll eine dünne, braunhaarigeweiße Frau in einem eleganten, aber zerknitterten Kostüm vor, an deren Gürtel ein goldenes Dienstabzeichen hing. »Das ist Special Agent Kimberley Reynolds vom FBI.«
Wir machten alle »Ooh« – der gesamte Raum – es entschlüpfte uns einfach. Das war schon mal kein guter Auftakt für die internationale Zusammenarbeit, denn ab sofort würden wir alle besonders bärbeißig sein, um unsere Verlegenheit zu kaschieren.
»Da James Gallaghers Vater ein Senator der Vereinigten Staaten ist, hat die amerikanische Botschaft darum gebeten, Agent Reynolds als Beobachterin an den Ermittlungen teilhaben zu lassen.« Seawoll nickte zu einem Detective Sergeant hinüber, der an einem Tisch mir gegenüber saß. »Falls sich für den Senator relevante Sicherheitsaspekte ergeben, wird Bob sich darum kümmern.«
Bob hob zum Gruß die Hand. Agent Reynolds nickte ihm zu, ein bisschen nervös, wie mir schien.
»Ich habe Agent Reynolds gebeten, uns noch weitere Informationen über das Opfer zu geben«, sagte Seawoll.
Also, an ihrem Bericht war nichts Nervöses. Ihr Akzent schien eine Mischung aus Südstaaten und Mittlerem Westen zu sein, aber durch die Ausbildung hatte sie eine knappe, prägnante Art zu sprechen entwickelt. Gallaghers Kindheit ratterte sie geradezu herunter – jüngstes von drei Kindern, geboren in Albany, wo sein Vater Senator des Staates New York war (was ganz und gar nicht dasselbe war wie Senator auf Bundesebene). James hatte Privatunterricht erhalten, sich zur Kunst hingezogen gefühlt und an der New York University studiert. Mit siebzehn hatte er einen Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung bekommen, undbei einer Ermittlung wegen des Drogentods eines Kommilitonen tauchte sein Name in den Akten auf, ein Jahr bevor er den Abschluss machte. Nach Aussage seiner Freunde an der Uni war er ein sympathischer, beliebter junger Mann, wenn auch etwas zurückhaltend.
Ich hob die Hand – ich wusste nicht, wie man sich hier sonst zu Wort meldete.
»Ja, Peter?«, sagte Seawoll.
Ich glaubte jemanden kichern zu hören, aber das war vielleicht auch nur meine Paranoia.
»Sind in seiner Familie jemals Geisteskrankheiten aufgetreten?«
»Nicht dass wir wüssten«, sagte Reynolds. »Niemand von ihnen war je bei einem Psychiater in Behandlung, und wir wissen von keinen verschreibungspflichtigen Medikamenten außer den üblichen Grippe- und Erkältungsmitteln. Haben Sie denn Grund zu der Annahme, dass der Fall einen psychiatrischen Aspekt hat?«
Ich musste Seawoll nicht ansehen, um zu wissen, wie ich darauf antworten musste.
»War nur ein Gedanke.«
Zum ersten Mal sah sie mich direkt an. Sie hatte grüne Augen.
»Weiter«, sagte Seawoll.
Ich trat ganz langsam den taktischen Rückzug in den hinteren Teil des Raumes an.
Wie jede große Polizeioperation bekommt auch eine Mordermittlung von der operativen Unterstützung einen Namen verliehen. Früher wurde das von einem Verwaltungsassistenten erledigt, der in einem Wörterbuch jedes Wort,das bereits verwendet worden war, durchstrich, aber inzwischen war das Verfahren verfeinert worden – schon um PR-Desaster wie SUMPF81 oder GERONIMO zu vermeiden. James Gallaghers vorzeitiges Dahinscheiden würde als OPERATION MATCHBOX in die Annalen der Metropolitan Police eingehen. Nicht das poetischste Epitaph, aber (nach Lesleys Meinung) immer noch besser als das amerikanische System, wo man alles mit Varianten von OPERATION FASST-DIE-BÖSEN-JUNGS betitelte.
Als ich an meinen Schreibtisch zurückkehrte, stellte ich fest, dass während der Besprechung ein paar Hauselfen da gewesen sein mussten, die zwei lila Schnellhefter auf meinen Tischabschnitt gelegt hatten. In die obere Ecke war jeweils ein kleiner ausgedruckter Zettel geheftet, auf dem das heutige Datum, OPERATION MATCHBOX und mein Name standen. Darunter stand beim oberen die Zeile: Herkunft der Obstschale zurückverfolgen. Priorität: Hoch. Auf dem
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