Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
wenn wir’s behalten, können wir ihnen falsche Infos unterjubeln. Wir könnten ein anderes Auto damit präparieren und sie ins Blaue schicken, oder wir könnten sie grandios auflaufen lassen, indem wir …«
Lesley schnaubte. »Hallo? Wir sind die Polizei. Wir sind keine Spione und auch keine verdeckten Ermittler. Wir führen eine reguläre, offiziell autorisierte Ermittlung durch. Es kann uns nur recht sein, wenn sie uns folgen, denn dannkönnen wir sie identifizieren, Verstärkung anfordern und sie festnehmen. Und wenn sie erst mal bei uns im Verhörraum sitzen, wird sich schnell herausstellen, wer sie sind, schon allein dadurch, was für eine Sorte Anwalt sie rauspaukt.«
»Mein Plan wäre lustiger«, sagte ich.
»Dein Plan ist komplizierter«, versetzte sie. Dann schob sie einen Finger unter die Maske und kratzte sich. »Ich wollte, ich wäre noch richtig beim Team.«
»Nimm sie doch ab«, sagte ich. »Hier sieht dich niemand.«
»Außer dir.«
»Ich gewöhne mich allmählich daran. Es wird langsam zu deinem normalen Gesicht.«
»Ich will nicht, dass es zu meinem normalen Gesicht wird«, zischte sie.
Ich klebte den Sender wieder unter den Asbo. In eisigem Schweigen beobachteten wir, wie die beiden regulären Nolan-Vans beladen wurden und abfuhren. Schließlich begab sich Kevin auf seine Runde und kam erstaunlicherweise nicht mit Müllsäcken voller Reste, sondern mit mehreren ordentlich gestapelten Paletten auf einem Gabelstapler zurück. Seine heutige Kundschaft konnte sich freuen. Ich sprang aus dem Asbo, machte mit dem Teleobjektiv ein paar Fotos und schlüpfte wieder hinein.
»Schalt den Sender ein«, sagte ich.
Lesley klappte ihren Laptop auf und hielt ihn mir hin, um mir zu zeigen, dass er bereits aktiviert war und alle fünf Sekunden ein Signal aussandte. Ich rangierte den Asbo aus der Parklücke und fuhr zur Ausfahrtrampe. Wenn man einen Peilsender hat, muss man seinen Zielpersonen zwarnicht allzu dicht auf die Pelle rücken, aber zu weit weg möchte man auch nicht sein – falls sie plötzlich anfangen, irgendwelche spannenden Dinge zu tun.
In der Morgendämmerung wurde unter dem klaren, verwaschen-blauen Himmel allmählich eine Landschaft aus pockennarbigem Schnee und verharschtem Schneematsch erkennbar. Lesley und ich duckten uns instinktiv, als Kevins Transit vorüberknatterte. Wir warteten, bis klar war, in welche Richtung er auf die Schnellstraße auffahren würde, dann hängten wir uns dran.
Alles lief sehr zivilisiert ab, trotzdem hätte ich ganz gern einen Spitzhackenstiel auf dem Rücksitz gehabt – rein der Tradition wegen, versteht sich.
»Eine kulturgeschichtliche Waffe«, sagte ich laut.
»Was?«, fragte Lesley.
»Wenn die Polizei eine kulturgeschichtliche Waffe hätte, wie das Claymore-Schwert oder den Assegai – das wäre dann wohl der Spitzhackenstiel.«
»Warum tust du nicht mal was Nützliches und hältst nach einem Wagen mit Diplomatenkennzeichen Ausschau.«
Wir waren kurz vor der Chelsea Bridge, die bei all ihrem Kutschenlaternencharme doch nur drei Spuren breit ist – zwei, wenn man die Busspur nicht einrechnet. Ein gutes Nadelöhr, um einen Verfolger zu sichten. Um es Terroristen und potenziellen Kidnappern so leicht wie möglich zu machen, haben Diplomatenwagen besondere Nummernschilder, denen man Rang und Nationalität des Halters entnehmen kann. Ich entdeckte ein solches an einem dunkelblauen Mercedes S-Klasse, neuestes Modell, und las die Nummer laut vor.
»Sierra Leone«, sagte Lesley.
Eine kleine, vielleicht genetisch überlieferte patriotische Regung flackerte in mir auf. »Kennst du die alle auswendig?«
»Nein, auf Wikipedia gibt’s eine Liste.«
»Was ist denn der Code für die USA?«
»270 bis 274.«
»Aber sie wird keinen Botschaftswagen nehmen«, sagte ich. »Oder? Ich meine, das wäre doch total verdächtig.«
Lesley war der Meinung, ich hätte noch nicht ganz begriffen, was es bedeutete, einen Sender zu verwenden, nämlich: man kann einen so großen Abstand halten, dass es egal ist, was für ein Kennzeichen man hat. Mit Diplomatenkennzeichen musste man weder Maut noch Parkgebühren bezahlen, und man konnte auch nicht ohne Weiteres festgenommen werden. »Hat sie eigentlich diplomatische Immunität?«
»Weiß nicht. Wir könnten Kittredge fragen.«
»Wir können Kittredge auch jetzt und hier anrufen und ihm überhaupt das Ganze aufs Auge drücken«, sagte Lesley. Sie überprüfte ihren Laptop. »Wo zum Teufel will der hin?« Wieder drehte
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