Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
Hauptsächlich in Yorkshire und Dartmoor, aber dieses Jahr war ich einen Monat in Meghalaya.« Wie ich erfuhr, war das eine Provinz in Nordostindien und fast gänzlich jungfräuliches Terrain, was Höhlenforschung anging. Sehr riskant und abenteuerlich.
Da die Londoner U-Bahn nach dem Schneechaos gerade erst wieder zum Normalbetrieb zurückgekehrt war, kam es nicht in Frage, die Circle Line für unsere Erkundung schon wieder zu sperren. Wir mussten also bis zum regulären Betriebsschluss um ein Uhr nachts warten. Kumar riet mir, mich bis dahin noch ein wenig hinzulegen.
Daher überließ ich es Lesley, das nicht vorhandene Hauszu bewachen, und kehrte zwecks Ableistung meines Schlafpensums ins Folly zurück. Um acht stand ich wieder auf, nahm ein heißes Bad und drehte mit Toby eine Runde auf dem Russell Square. Es war knackig kalt, und der Himmel war so klar, dass man, wenn nicht die Londoner Lichtverschmutzung gewesen wäre, bestimmt die Sterne gesehen hätte. Da ich um zehn in Bayswater Station mit Kumar verabredet war, ging ich, sobald Toby sein Revier hinreichend markiert hatte, wieder ins Haus, um meine Ausrüstung zusammenzusuchen. Im Atrium trat plötzlich Molly aus den Schatten. Ich fuhr zusammen. Das tat ich immer, und Molly schien es jedes Mal zu amüsieren.
»Könntest du das bitte lassen?«, bat ich.
Sie sah mich ausdruckslos an und hielt mir eine Reisetasche hin, die ich als Lesleys erkannte. Ich nahm sie entgegen und versprach feierlich, sie ihr zukommen zu lassen. Es gelang mir, dem Drang zu widerstehen, mal kurz hineinzulugen – dabei half mir in hohem Maße der Gedanke, dass man nie wusste, wann Molly einen aus den Schatten heraus beobachtete.
Zu meiner Überraschung wartete in der Remise Nightingale neben dem Jaguar auf mich. »Ich fahre Sie hin.« Er trug einen dunkelblauen warmen Anzug mit passendem Aran-Pullover und seine schweren braunen Schnürschuhe. Sein Wintermantel von Crombie lag über dem Rücksitz des Autos.
»Übernehmen Sie heute Nacht die Aufsicht?«, fragte ich, als wir im Wagen saßen.
Er startete und ließ den Motor warm werden. »Ich dachte mir, ich löse Lesley ab. Dr. Walid möchte nicht, dass sie sich zu sehr anstrengt.«
Ich vergesse oft, was für ein hervorragender Autofahrer Nightingale ist, vor allem im Jaguar. Er gleitet durch den Verkehr wie ein Tiger durch den Dschungel, oder zumindest so, wie ich mir einen Tiger im Dschungel vorstelle. Kann natürlich auch sein, dass die Viecher im Wald herumstolzieren wie ein Rottweiler durch einen Pudel-Schönheitswettbewerb.
Auf der Fahrt setzte ich ihn über die komplexen Details der anstehenden Unternehmung in Kenntnis. »Ich und Kumar steigen durch die Falltür, treffen uns unten mit diesem U-Bahn-Streckengänger und suchen das verschollene Gemüse.«
»Kumar und ich«, sagte Nightingale. »Nicht ich und Kumar.« Er bemühte sich immer mal wieder um meine Grammatik und blieb seltsam uneinsichtig dem meiner Meinung nach hochdifferenzierten und überzeugenden Argument gegenüber, dass die Regeln der englischen Grammatik im Großen und Ganzen ein künstliches Konstrukt sind, dessen Bedeutung für die gesprochene Sprache verschwindend gering ist.
»Kumar und ich«, wiederholte ich, um ihm einen Gefallen zu tun, »machen uns da unten auf die Suche, und Lesley und zwei Kollegen von der Mordermittlung halten sich an der Bahntrasse bereit, nur für alle Fälle.«
»Für welche Fälle? Was erwarten Sie da zu finden?«
»Keine Ahnung. Penner, Trolle, sprechende Dachse – Sie wissen das doch besser als ich.«
»Keine Trolle«, erklärte er. »Trolle halten sich lieber an Flussufern auf, vor allem an überdachten Stellen.«
»Brücken«, sagte ich.
»Exakt. Soweit ich weiß, lebt weder in den Tunneln noch,wenn wir schon dabei sind, in den Abwasserkanälen etwas Ungewöhnliches . Wobei es natürlich stets Gerüchte gab – über Landstreicherkolonien oder Sippen von Navvies, die nicht mehr herausfanden und zu Kannibalen wurden.«
»Das war ein Film«, sagte ich.
» Death Line «, sagte er zu meiner Überraschung. »Mit Donald Pleasance. Machen Sie kein so schockiertes Gesicht, Peter. Dass ich nie einen Fernseher besaß, heißt nicht, dass ich nie ins Kino gegangen bin.«
Tatsächlich hatte ich mir immer vorgestellt, dass er abends mit einem schmalen Band metaphysischer Lyrik in der Bibliothek saß, unterbrochen nur von den Gelegenheiten, wenn sein Batphone klingelte, weil der Commissioner ihn zu Hilfe rief. Sankt
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