Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
so sehr wünschte, wie seine Sektion fristgerecht und mit so wenig Ärger wie möglich fertigzustellen. Und wenn – ganz wichtig – der vorausblickende Mann seine Kameraden dazu überreden konnte, dem Dämon Alkohol abzuschwören und stattdessen ihren Anteil bei einer ordentlichen Bankanzulegen, dann konnte er nach zwanzig Jahren eine ganz hübsche Summe beisammenhaben.
Ein solcher Mann war Eugene Beale, auch bekannt als Ten-Ton-Digger, der Irland aus dem unerklärlichen Wunsch heraus verlassen hatte, dem Hungertod zu entfliehen, und am Ende die Vauxhall Station baute.
»Sie waren als Tunnelbauer ziemlich berühmt«, sagte Beale. »Sie haben Abwasserkanäle für Bazalgette gebaut und für Pearson die Metropolitan Line, und die ganze Zeit über haben sie ihr Geld zusammengehalten.« Gewohnt hatten sie gleich neben der Pottery Lane, und man nahm an, dass sie dort an die Formel für ihr unzerbrechliches Steingut gekommen waren.
»Eine Geheimformel?«, fragte ich erwartungsvoll.
»Damals ja«, erwiderte Beale. »Es ist im Grunde eine Art doppelt gebranntes Steingut, sehr ähnlich dem Coade-Stein, der ja, soviel ich weiß, heute noch hergestellt wird. Wunderbares Material, sehr widerstandsfähig und – was für London damals noch wichtiger war – resistent gegen Kohlenstaub.«
»Kennen Sie das Herstellungsverfahren noch?«, fragte ich. Stephanopoulos warf mir einen scharfen Blick zu, den ich leider ignorieren musste.
»Ich persönlich?«, fragte Beale. »Nein, nein. Ich bin lediglich für die Verwaltung zuständig, aber soweit ich weiß, dürfte es heutzutage mit den elektrischen Brennöfen und all dem Schnickschnack gar nicht so schwer sein. Die Temperatur mit den alten Koksbrennöfen so konstant zu halten, wie es dafür nötig ist, das war die eigentliche Kunst.«
»Und wo stand die Fabrik?«, fragte ich.
Beale zögerte, und ich spürte, dass wir die Grenze von »netter Unterhaltung« zu »Unterstützung polizeilicher Ermittlungen« überschritten hatten. Stephanopoulos richtete sich ganz leicht in ihrem Stuhl auf.
»An der Pottery Lane natürlich«, sagte Beale dann. »Mögen Sie noch einen?«
Stephanopoulos lächelte und hielt ihm ihr Glas hin. Es ist immer besser, wenn die befragte Person nicht weiß, dass man weiß, dass sie gemerkt hat, dass sie etwas vorsichtiger sein muss.
»Was, bis in die sechziger Jahre?«, fragte ich.
Beale zögerte wieder, als müsse er genau über die Daten nachdenken. »Nein. Irgendwann wurde das Werk nach Norden verlegt, nach Staffordshire, in eine der dortigen Keramikfabriken.«
»Können Sie mir den Namen sagen?«
»Warum in aller Welt wollen Sie das wissen?«
»Im Auftrag der Abteilung Kunst und Antiquitäten«, sagte ich. »Hat was mit gestohlenen Statuetten im Internet zu tun.«
Stephanopoulos gab ein unwillkürliches Schnauben von sich und verwandelte es schnell in ein Husten.
»Oh«, sagte Beale. »Verstehe. Ich bin sicher, dass ich Ihnen die Information heraussuchen kann – brauchen Sie sie sofort?«
Ich schwieg kurz, nur um seine Reaktion zu beobachten, aber er war viel gewiefter, als seine Netter-Onkel-im-Schlabberpulli-Erscheinung vermuten ließ, und trug nur eine höflich-hilfsbereite Miene zur Schau.
»Nein«, sagte ich. »Das hat Zeit bis im neuen Jahr.«
Beale nahm einen stärkenden Schluck Baileys und ergingsich darin, uns zu erklären, dass unzerbrechliches Steingut ja schön und gut sei, Eugene Beale und die überlebenden Mitglieder seiner Kameradschaft sich später aber auch ihre phänomenalen Kenntnisse im Tunnelbau zunutze gemacht hätten und selbst als Subunternehmer bei Bauprojekten eingestiegen seien. Und während die Technik sich weiterentwickelte und menschliches Verschleißmaterial durch massive Maschinen ersetzt wurde, lernte jede neue Generation von Beales alles über die technischen Neuerungen ihrer Zeit.
»Ich dachte, Sie sind nur für die Verwaltung zuständig?«, fragte ich.
»Das stimmt. In unserer Generation war es mein jüngerer Bruder, der den Ingenieursstand vertrat. Unser Firmenname täuscht; wir mischen auch ganz ordentlich im Baugewerbe mit, was uns übrigens durch die Wirtschaftskrise gerettet hat. Wären nicht die Aufträge von Crossrail gewesen, dann wären wir untergegangen.«
»Könnten wir vielleicht mit Ihrem Bruder sprechen?«
Beale senkte den Blick. »Er ist leider bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen.«
»Das tut mir leid.«
»Egal wie viel Technologie heute beim Tunnelbau eingesetzt wird, gefährlich
Weitere Kostenlose Bücher