Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
uns großräumig aus.
»Vielleicht können Sie sich hier andere Kleider ausborgen«, sagte Kumar.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es hier etwas in meiner Größe gibt«, entgegnete sie spitz.
Auch auf das tanzfreudigste Clubpublikum haben drei abwassergetränkte Neuzugänge eine unfehlbar dämpfende Wirkung, und es dauerte nicht lange, bis eine kleine Woge durch die Menge der Tanzenden ging und zwei junge Frauen auf uns zukamen.
Sie waren keine eineiigen Zwillinge, aber unverkennbar Schwestern. Groß und schlank, dunkelhäutig, mit schmalen Gesichtern, flachen Nasen und spitzbübischen schwarzen Augen. Ich konnte sie gerade so auseinanderhalten. Olympia war ein winziges bisschen größer und breitschultriger und trug ihr Haar derzeit in einer aufwendig über die Schultern fallenden Lockenfrisur. Chelsea hatte den längeren Hals, den schmaleren Mund und ungefähr sechsunddreißig Arbeitsstunden verdrillte Haarverlängerungen aufdem Kopf. Die beiden trugen identische pinke, sehr knappe Minikleider, von denen ich genau wusste, dass sie ihrer Mutter gar nicht gefallen hätten. Ich hielt den Blick fest auf ihre Gesichter gerichtet.
Olympia verschränkte die Arme. »Ich hoffe, du hast hierfür eine verdammt gute Erklärung.«
»Agent Reynolds, Sergeant Kumar, darf ich vorstellen, die Göttinnen der Flüsse Counter’s Creek und River Westbourne«, sagte ich und verbeugte mich demonstrativ. Die Mädchen warfen mir giftige Blicke zu, aber ich fand, dass ich ihnen für damals, als sie mich ungerührt mitten in der Themse hatten treiben lassen, noch eine Retourkutsche schuldig war.
»Du weißt, dass wir Olympia und Chelsea heißen«, sagte Chelsea.
»Wobei wir«, sagte Olympia zu Kumar und Reynolds, »schon Göttinnen sind und erwarten, als solche behandelt zu werden.«
»Ich könnte euch beide auch verhaften«, sagte ich. »Ich meine, gibt es hier unten irgendwen, der überhaupt schon Alkohol kaufen darf?«
Olympia schürzte die Lippen. »Na ja, Lindseys Freund Steve ist achtzehn. Reicht das?«
Um ehrlich zu sein, ich war zu kaputt, um weiter herumzufrotzeln. Ich fragte die beiden, ob sie irgendwelche seltsamen weißen Typen in schwarzen Kapuzenshirts in den Tunneln hätten herumschleichen sehen. Sie verneinten. Meine nächste Frage war, ob man sich hier irgendwo waschen könne und ob es einen funktionierenden Festnetzanschluss gebe.
Chelsea lachte. »Festnetz! Wir haben Wifi.«
Sie hatten auch eine Umkleide mit Dusche, die, den Armaturen aus Messing und Edelstahl nach zu schließen, zuletzt in den sechziger Jahren renoviert worden war – ich vermutete, ein Überbleibsel von Kumars geheimer Regierungsorganisation. Die Mädchen trieben sogar irgendwo ein Sweatshirt und eine Jogginghose für Reynolds auf, die mich und Kumar so lange böse anstarrte, bis wir uns unserer Manieren entsannen und sie allein ließen. Wir warteten in einem Lagerraum, in dem sich Flaschen mit Tafelwasser und Mini-Schokoriegel in Großboxen stapelten. Mit dem Wasser wuschen wir uns das Gesicht, hatten dann eine kleine Diskussion über die Vorzüge von Mars gegenüber Milky Way und tranken nach dem Geschmackstest noch etwas Wasser. Als Kumars Blutzuckerspiegel mir wieder hoch genug schien, stellte ich ihm die heikle Frage.
»Ist es wirklich reiner Zufall, dass Sie bei diesem Fall eingesetzt wurden?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich zaubere magische Lichter, stelle Sie zwei Flussgöttinnen vor – «
»Teenie-Flussgöttinnen. Und sonderlich religiös sind die ja nicht aufgetreten.«
»Und die Lichter?«
»War das nun wirklich Magie?«, vergewisserte er sich.
Ich zögerte. »Ja.«
»Ganz echte Magie?«
»Ja.«
»Meine Fresse.«
»Das kommt etwas spät.«
»Hey, ich konnte mir doch vor der Amerikanerin keine Blöße geben.«
»Also sind Sie nicht so was wie das Folly-Äquivalent der BTP?«
Kumar lachte und meinte, die British Transport Police habe dringendere Probleme als etwas Derartiges einzurichten. »Aber hier unten gibt’s immer wieder abstruse Sachen, und irgendwie hat es sich so ergeben, dass die Kollegen sich damit meistens an mich wenden.«
»Warum?«
»Ach, ich hab als Kind zu viel Akte X geschaut. Außerdem bin ich manchmal als Urban Explorer unterwegs.«
»Also waren Sie nicht zum ersten Mal in den Kanälen.« Urban Explorers haben den Ehrgeiz, auch die geheimsten und verlassensten Ecken einer Stadt zu erforschen. Dass man dazu regelmäßig unerlaubt irgendwo eindringen muss, macht das Ganze erst so richtig
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