Ein zahnharter Auftrag
sie sahen äußerst seltsam aus, denn es waren pechschwarze, kleine Kugeln mit dunkelroten Punkten und lauter kleinen Stacheln –, diese Pflanzensamen vergrub der Pfarrer, wie es das Testament anwies, auf dem Grab des Vampirjägers. In den nächsten Wochen goss er die Stelle ein paarmal. Zweimal pinkelte ein Pudel darauf. Dann vergaß der Pfarrer die Pflanzensamen. Er war nicht mehr der Jüngste. Der Pudel schnupperte noch einmal am Grabstein, dann suchte er sich ein anderes stilles Örtchen. Unbemerkt und im Schatten des großen Grabsteins brach ein Sprössling durch die Erdkruste. Eine Pflanze wuchs heran. Kein Grashalm. Kein Löwenzahn. Die Germania Dracona.
Als Augustine Ludwig, die Tochter des Steinmetz, vier Monate später an einem warmen Juninachmittag leichtfüßig über den Friedhof rannte und sich hinter dem großen Grabstein des Vampirjägers versteckte, hatte sie auf einmal das Gefühl, ihr Herz wolle ihr aus der Brust springen, so sehr raste es. Erst versuchte sie ihr Herz festzuhalten und legte beide Hände auf die Brust, dann hielt sie sich am Grabstein fest. »Franz!«, gelang ihr noch zu rufen, dann brach sie mit einem stechenden Schmerz im Herzen zusammen.
Franz, der Neffe des Pfarrers, fand seine geliebte Augustine zu Füßen des Grabsteins von Osmund Mortus. Als er sie auf die Arme hob, spürte er sein Herz hämmern. Franz war ein kräftiger junger Mann. Trotz des Herzrasens und der wohlgenährten Augustine auf den Armen gelang es ihm, den Ausgang des Friedhofs zu erreichen. Vor der Friedhofsmauer brach er zusammen. Es dauerte den restlichen Sommer, den ganzen Herbst und den halben Winter, bis sich Augustine und Franz von ihrem Stelldichein auf dem Friedhof erholt hatten. Der Arzt sagte, Augustine wäre dem Tod in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen.
Seitdem wagte sich keiner der Dorfbewohner in die Nähe des Grabs von Osmund Mortus. Diejenigen, die es versuchten, wichen nach weniger als zwei Sekunden mit rasendem Herzen zurück. Die seltsame Pflanze auf dem Grab wurde immer größer. Das Herzrasen der Friedhofsbesucher wurde immer stärker. Schon bald wagte keiner mehr, einen Schritt auf den Friedhof zu setzen. Er verwilderte und bekam den Namen Friedhof des Grauens.
Niemand besuchte Osmund Mortus an seinem Grab. Niemand legte mehr Blumen nieder. Kein Hund hob ein Bein am Grabstein. Osmund Mortus ruhte einsam, wie einst am Kamin. Nach all den Monaten waren von seinem einst stattlichen Körper nur noch Knochen übrig. Und sein Geist. Sein Geist war stark. Stärker, als Osmund Mortus zu Lebzeiten jemals gewesen war. Der Geist von Osmund Mortus war skrupellos. Er würde das Werk des Vampirjägers zu Ende führen. Er würde alle Vampire auslöschen. Er musste nur Geduld haben. Sie würden kommen. Die Pflanze würde sie anlocken. Und sollte sie die Vampire nicht aufhalten, würde er es tun. Jemand würde ihn wecken. Die Nacht würde kommen.
Der
Friedhofsdrache
D aka und Silvania schlichen mit eingezogenen Köpfen über den Friedhof. Sobald der Kies unter ihren Füßen knirschte, zuckten sie zusammen. Helene hatte recht gehabt. Der Friedhof war voller Geräusche und Schatten. Huschte da nicht eben links etwas über den Grabstein? Raschelte es dort im Efeu? Was war das für ein seltsames Licht in den Baumkronen? Dakas und Silvanias Blicke flogen nervös hin und her.
Silvanias Herz klopfte so laut, dass sie sich sicher war, Daka konnte es hören. Sie sah zu ihrer Schwester. Im Mondlicht schimmerte ihr Gesicht schneeweiß.
Plötzlich zuckte Daka zusammen. Beinahe fiel ihr die Box aus der Hand. »Hast du das gesehen? Da war etwas. Ganz sicher.« Sie hatte die Augen weit aufgerissen. Sie glänzten fiebrig.
Silvania sah sich um. »Das ... das war nur ein Vogel. Glaube ich.« Ihr Herz klopfte noch schneller. Am liebsten hätte sie es festgehalten.
Daka holte tief Luft. Sie klemmte sich die Box unter den Arm und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Stirn war feucht. Die Hand eiskalt. Was war nur los? Sie war doch sonst nicht so ein Feuchtpupser.
Daka schielte zu ihrer Schwester.
Silvania nickte ihr mitfühlend zu. Dann nahm sie Dakas Hand. Zögernd liefen die Mädchen weiter. Ihre Augen sahen unentwegt nach rechts und nach links. Keine Bewegung sollte ihnen entgehen. Sie hatten alle Antennen ausgefahren.
Silvania fragte sich, wie sie es schaffen sollten, die Germania Dracona vom Grab des größten Vampirjägers aller Zeiten zu pflücken, wenn ihnen schon ein einfacher
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