Ein zahnharter Auftrag
Tante Karpa.
»Weil sie Nachhilfe in Englisch braucht«, sagte Jacob.
Einen Moment war es still im Wohnzimmer. Dann prustete Mihai Tepes los.
Elvira Tepes machte: »Pfff! Silvania? Nachhilfe? In Englisch?«
»Das ist nicht nur gelogen, mein Freund, das ist verdammt schlecht gelogen«, rief Mihai Tepes. »Unsere Tochter braucht Nachhilfe in Englisch genauso wenig wie mein Bruder Vlad Lockenwickler.«
»Aber ...«, begann Jacob.
Bevor er weiterreden konnte, trat Vlad an ihn heran und griff nach seinem rechten Fuß. »So, jetzt werden wir dich mal kopfüber ausschütteln. Mal sehen, ob da nicht der eine oder andere Tropfen Pflanzensaft herauskommt!«
Als Jacob das hörte, reagierte er blitzschnell. Er duckte sich, drehte sich nach rechts weg und huschte unter Vlads Armen hindurch zur Tür.
»Haltet ihn!«, rief Vlad.
»Nein!«, schrie Silvania. »Jacob hat den Saft nicht. Er ist wirklich mein Nachhilfelehrer.«
»War ich!«, rief Jacob, riss die Wohnzimmertür auf und stürmte auf den Flur. Eine Sekunde später fiel die Haustür ins Schloss.
Silvania schlug die Hände vors Gesicht.
Elvira und Mihai Tepes musterten ihre Tochter. Herr Tepes räusperte sich. »Du nimmst Nachhilfe?«
»In Englisch?«, fragte Frau Tepes.
Silvania nahm die Hände vom Gesicht. »Ich ... na ja ... also ...«
»Ihr wisst doch: Den Faulen beißt die Fledermaus«, sagte Daka. »Silvania nimmt nicht Nachhilfe, sondern Vorhilfe.«
Onkel Vlad nickte ernst. »Lenoi mutza flatliac! Nimm dir ein Beispiel an deiner Cousine, Woiwo!«
Woiwo saß auf der Schrankwand und zerfetzte eine Zeitung. Wie Schneeflocken rieselten die Schnipsel auf den Teppichboden.
»Warum hast du uns das denn nicht erzählt?«, fragte Elvira Tepes. Sie musterte' ihre Tochter. Sie hatte seltsame dicke schwarze Ränder um die Augen. Auf der Nase und dem Kinn glitzerte etwas.
»Das ... äh ... hat sich ziemlich spontan ergeben«, begann Silvania.
»Silvania wollte euch mit ihrem perfekten Englisch überraschen«, fuhr Daka fort.
Elvira und Mihai sahen ihre Töchter abwechselnd an. Sie runzelten die Stirn. Sie sahen sich fragend an. Sie zuckten die Schultern. Von ihren Töchtern waren sie einiges gewohnt. Aber freiwillig Nachhilfe – das war neu.
»Und jetzt?«, fragte Tante Karpa.
»Jetzt kommt Jacob bestimmt nie wieder zur Nachhilfe.« Silvania schluchzte.
Daka hielt ihr ein Wischfix vor die Nase.
»Nein. Ich meine den Pflanzentrunk.« Tante Karpa rückte ihren Haarturm mit dem Fliegennetz zurecht.
Vlad ließ sich neben seinen Bruder auf die Couch fallen. »Er ist weg. Einfach weg.« Er nahm das Monokel von seinem grünen Auge. Dann rieb er sich beide Augen, bis die Ränder sich rötlich verfärbten.
»Er muss irgendwo sein!« Mihai Tepes fuhr sich durch die schwarze Mähne.
»Vielleicht hat ein Tier ihn geklaut«, meinte Daka.
»Samt Karaffe?«, fragte Tante Karpa.
»Es war eben ein sehr geschicktes Tier«, sagte Daka.
Im Wohnzimmer breitete sich Schweigen aus.
Mihai Tepes stellte sich ein Wildschwein vor, das mit der Karaffe zwischen den Eckzähnen und der feuchten Schnauze in den Wald zottelte. Er schüttelte den Kopf.
Elvira Tepes nahm einen Schluck Kaffee aus ihrer Toilettentasse. Sie setzte sie ab und fuhr mit dem Finger nachdenklich die Risse nach, an denen sie die Tasse geklebt hatte.
Vlad klemmte sich das Monokel wieder vors Auge und dachte an seine Heimat. Er dachte an die Erkrankten. Er dachte an die Infludenta. Langsam fuhr er sich mit der Zunge über die Eckzähne. Noch waren sie da. Bei dem Gedanken, dass sie schrumpfen und wegschimmeln könnten, zitterte sein Augenlid und das Monokel wackelte. Nein. Er konnte nicht mit leeren Händen in die Heimat zurückkehren.
Tante Karpa stieß leise auf. »Verzeihung!«, flüsterte sie.
Silvania sah traurig zur Wohnzimmertür. Good bye, dachte sie.
Elvira Tepes richtete sich auf einmal auf und reckte den Kopf. »Hört ihr das auch?«
Die anderen sahen sie fragend an und lauschten.
»Da rauscht etwas«, stellte Mihai fest.
»Jemand stöhnt«, sagte Tante Karpa.
»Und macht ›uh‹ und ›ah‹«, sagte Silvania.
»Und dann macht es flopp flopp flusch.« Woiwo spitzte die Ohren.
»Und ritsch und ratsch«, fügte sein Vater hinzu.
»Jetzt rauscht es wieder«, sagte Frau Tepes.
Daka ging langsam zum Fenster, das zum Nachbarhaus zeigte. »Das kommt von da drüben!« Sie deutete auf das kleine Toilettenfenster am Nachbarhaus.
»Herr van Kombast? Was macht er denn?«, wunderte sich Herr
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