Ein Zirkus für die Sterne
er hatte vor Freude beinahe gejubelt, als er mitsamt seinen Kleidern unter dem Reinigungsstrahl stand, um den Staub loszuwerden. Doch kaum hatte der Mensch seine Ration verspeist, als er in ein langes Schweigen versank, das nur durch fahriges Zusammenzucken und durch Blicke über die Schulter durch die Sichtblase unterbrochen wurde. Auf der Straße waren nicht viele Menschen, die meisten saßen in der Kantine. Havu seufzte. Er hatte dieses Erlebnis nicht halb so unterhaltsam gefunden, wie er es sich vorgestellt hatte. Pratt war schweigsam, unruhig und fummelte unter seinem Hemd herum. Bald würde Havu ihn wegschicken müssen, damit der Mensch für die sinnlose Arbeit des folgenden Tages genügend Schlaf bekam. Es mochte ein Goatha gegen die erste Abteilung Menschen existieren, wenn es auch noch so schwer zu finden war, doch das Goatha gegen die Zirkusleute konnte Havu nicht erkennen. Er wünschte sich eine ausreichende Phantasie, um ein Goatha gegen die Kammer des Imperiums zu ersinnen, weil sie Wächter dazu benutzte, die Überreste eines ungeeigneten Rachevorhabens zu beaufsichtigen.
»Pratt, du hast etwas über das Goatha wissen wollen.«
Der Mensch fuhr hoch und zog schnell die Hand unter seinem Hemd hervor. »Ja.« Pratt holte tief Luft, nickte und blies die Luft langsam aus. »Ja.«
»Nun?«
Pratt zuckte mit den Schultern. »Ich verstehe es nicht. Habt ihr Nuumiier eine Art Religion daraus gemacht, Leute zu quälen?«
»Nein, nein.« Havu schüttelte den Kopf. »Das Goatha quält niemanden, es sei denn, als Randerscheinung dessen, was ihr Rache nennt.«
»Ich kapiere den Unterschied nicht.«
Havu runzelte die Stirn und stützte sich auf den winzigen Tisch. »Goatha benutzen wir, um das auszudrücken, was ihr Rache nennt, aber wir benutzen dasselbe Wort auch, um das zu benennen, was bei euch Gerechtigkeit heißt. In eurer Sprache bedeutet Goatha wörtlich ›Ausgleich der Waagschalen‹.«
Pratt schüttelte den Kopf. »Jetzt weiß ich genau, daß ich nichts verstehe.« Er vollführte eine halbe Drehung und zeigte mit dem Finger auf die Dorfstraße, die von erschöpften Menschen auf dem Weg zurück von der Kantine gesprenkelt war. »Das da nennen wir kaum Gerechtigkeit. Soweit ich es mir erklären kann, läßt euer Imperium seinen Ärger an diesen Leuten aus, und es sind noch nicht einmal dieselben, die deiner Bande die Bremsklötze angelegt haben. Ich sehe hier nirgendwo einen ›Ausgleich der Waagschalen‹.«
Havu nickte. »Für uns bilden alle Menschen ein Ganzes, so daß alle Menschen dem Goatha unterliegen, wenn ein Mensch ihm unterliegt.«
»Dummes Zeug.«
Havu richtete sich steil auf, und seine Finger schlossen sich um den Griff des Schockgewehrs, das auf seinem Schoß lag. »Erkläre das.«
»Wenn es stimmt, was du sagst, dann gibt es keinen Grund, den Leuten das anzutun, was ihr ihnen antut. Jedenfalls nicht allen. Ihr könntet dieses Goatha erfüllen, wenn es nur gegen einen aufgenommen wird.«
Havu lockerte den Griff um seine Waffe und sah den Menschen lange an. Er hatte in Worte gefaßt, was Havu schon geahnt hatte: Die Form des Goatha der Kammer war eine behelfsmäßige Angelegenheit, eine Vereinfachung, eine Ausrede – und obendrein eine fadenscheinige. »Stimmt, das ist ein schlechtes Beispiel für ein Goatha.«
Pratt lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Der Mensch hatte sich offenbar beruhigt. »Gib mir ein gutes Beispiel für ein Goatha.«
»Gut.« Havu dachte einen Augenblick nach. »Von einem klassischen Goatha wird in den nuumiischen Chroniken erzählt. Es heißt, daß Hakkir und Joldas Brüder waren, und beide begehrten sie Aiela zur Gefährtin. Aiela zog Hakkir dem Joldas vor, und Joldas machte es sich zur
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