Eindeutig Liebe - Roman
und lächelte, prostete der Luft zu. Alles ist gut. Bleib ruhig.
Lucy zog sich einen Sessel heran und nahm fast genau mir gegenüber Platz. »Also, Sienna, bitte erzählen Sie doch mehr von sich.« Sie lehnte sich zurück und lächelte; offensichtlich war sie erleichtert, dass ihr Sohn kein Goth Girl mit klimpernden Piercings nach Hause gebracht hatte. Es sah aus, als gäbe sie sich viel Mühe, mit Wärme und Entgegenkommen den arroganten Trampel wettzumachen, den sie geheiratet hatte.
»Nun, ich bin Journalistin und wohne in Westlondon. Ich schreibe für verschiedene Zeitschriften, und das macht mir viel Spaß.«
»Verdammte Journalisten«, erklang die mürrische Stimme von Bens Vater. »Verbreiten nichts als Lügen.« Seine Worte klangen nun noch undeutlicher, als hätte er Sirup im Mund. Plötzlich begriff ich, dass der Vater meines festen Freundes sturzbetrunken war.
Lucy wurde rot und forderte mich mit einem Blick auf, nicht auf ihn zu achten, doch das Ganze schien ihr schwer zuzusetzen. Ben wand sich sichtlich vor Verlegenheit.
Mir wurde klar, dass der Mann ein ernstes Alkoholproblem hatte, was Ben womöglich noch nicht richtig erfasst hatte. Zumindest hieß das, dass sich Davids bissige Bemerkungen nicht gegen mich persönlich richteten. Vielleicht war Ben damit aufgewachsen und hielt es für normal, dass ein Mann sich so benahm. Was es natürlich nicht war.
Seine Mutter hingegen schien ein sehr angenehmer Mensch zu sein, trotzdem konnte ich gegen den Schmerz in meiner Brust nichts tun. Mir war, als hätte mir jemand wie sie von Anfang an gefehlt. Wenn meine Mutter bei uns geblieben wäre, würde mein Vater vielleicht nicht alles so schwernehmen. Manchmal ist er wirklich deprimiert.
»Wohnen Sie allein?«, fragte sie mich weiter vorsichtig aus.
»Ich wohne bei meinem Vater, Dad und ich sind allein. Geschwister habe ich keine«, antwortete ich und hoffte, dass sie keine allzu peinlichen Fragen stellen würde. Andererseits hatte Ben sie sicher bereits über meine ungewöhnliche Lage ins Bild gesetzt.
»Sienna, ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich danach frage, aber Ben hat erzählt, dass Ihr Vater an einer faszinierenden Krankheit leidet. Oh, entschuldigen Sie, ich meine nicht faszinierend, sondern … äh …« Sie begann zu stottern und errötete leicht. Aber wenigstens strich sie nicht um das Thema herum wie die Katze um den heißen Brei.
»Ja, er leidet an Narkolepsie …«
»Narko-was?«, unterbrach Bens Vater mich grob. Wenn er sprach, flogen feine Speicheltröpfchen aus seinem Mund.
»Halt den Mund, Dad!«, rief Ben. Er war eindeutig wütend über das Benehmen seines Vaters.
»Das ist schon okay«, versicherte ich ruhig und nahm diskret Bens Hand. Er drückte sie. »Im Grunde ist es eine Erkrankung des Nervensystems. Eine Wach-Schlaf-Erscheinung. Mein Vater hat außerdem Kataplexie, eine andere Krankheit, die noch zu seiner Narkolepsie dazukommt. Das führt dazu, dass seine Schlafanfälle durch Gefühle ausgelöst werden, was wiederum bedeutet, dass er in solch einen Zustand fällt, wenn ihn irgendetwas emotional sehr bewegt. Nicht wissenschaftlich ausgedrückt heißt das, dass er ständig einschläft.« Ich war fertig und atmete tief die nach Holz duftende Luft ein.
Mittlerweile war ich so hungrig, dass ich mich ganz schwach fühlte. Ich trank nur einen winzigen Schluck Wein, denn ich wusste, dass er mir sofort zu Kopf steigen würde, und ich wollte bei wachem Verstand bleiben. In der Nähe von Bens Vater musste man auf der Hut sein.
»Also könnte er hier im Zimmer stehen und plötzlich einfach so umfallen?«, fragte Lucy und zog beide Augenbrauen erstaunt nach oben.
»Ja, einfach so. Jederzeit und überall. Er hat sich schon mehrmals verletzt. Das ist meine ständige Sorge. Arbeiten kann er natürlich nicht mehr. In den Augen der Behörden ist er zu hundert Prozent schwerbehindert.«
»Alles klar«, brummte Bens Vater. »Ich nehme an, er sackt das Geld ein, das wir anderen mit unseren Steuern finanzieren – so wie alle, die an Depressionen und ADHS und den ganzen anderen erfundenen Krankheiten leiden, die es heutzutage gibt. Im Grunde ist der Kerl einfach chronisch faul.«
Das traf mich bis ins Mark. Es fühlte sich an, als hätte er mich mit dem Messer geschnitten.
Ben sprang auf – nein, das ist noch eine Untertreibung. Es war vielmehr, als hätte jemand ein brennendes Streichholz in ein Benzinfass geworfen. Ich zuckte zusammen, und mein Herz schlug mir bis zum
Weitere Kostenlose Bücher