Eindeutig Liebe - Roman
alt vor. Sienna hingegen sang jede einzelne Zeile mit und bewegte sich leicht zur Musik. Ich genoss es, sie glücklich und entspannt zu sehen.
»Wie geht es deinem Vater?«, fragte ich durch das Stimmengewirr hindurch und kniff die Augen zusammen, als einer der Scheinwerfer genau in meine Richtung geschwenkt wurde.
»Nicht so besonders, Nick. In letzter Zeit ist es schlimmer geworden. Sie haben ihn auf andere Medikamente eingestellt, aber das neue Zeug wirkt nicht so gut. Deshalb musste ich mich auch erst vergewissern, dass sein Freund ihn heute Abend versorgen kann, denn im Augenblick kann man ihn einfach nicht allein lassen.« Sie stellte sich auf die Zehen, um die Bühne besser sehen zu können, wo gerade alles aufgebaut wurde. Fünf Bühnentechniker, ganz in Schwarz gekleidet, steckten Kabel in die Buchsen und klopften gegen Mikrofone.
Ich nahm ihre Hand und zog sie zu einer Stelle ziemlich weit vorn. »Das tut mir leid, Si. Kann ich irgendetwas tun?«
Die Absurdität der Frage wurde mir in demselben Moment klar, in dem ich sie stellte. Natürlich konnte ich nichts tun. Ich war ungefähr so nützlich wie ein Feuerlöscher aus Schokolade. Doch ich wünschte mir so sehr, ich könnte etwas für sie tun.
»Nein, nein. Ist schon gut, danke. Aber Dad würde sich freuen, dich bald mal wieder zu sehen. Im Augenblick befasst er sich mit gestörter Sinneswahrnehmung – du weißt schon: Leute, die Farben schmecken, Töne riechen und so weiter …« Sie verdrehte liebevoll die Augen.
»Das lässt sich bestimmt einrichten.«
Nachdem wir eine Stunde herumgestanden und dem DJ zugehört hatten, kam endlich Mr. Legend auf die Bühne. Er trug einen eng geschnittenen grauen Anzug und sah so gut aus, dass sich wohl jeder Mann im Saal innerlich zusammenkrümmte, während seine Freundin weiche Knie bekam. Warum nahm man auch seine Freundin mit zu einem John-Legend-Auftritt?
Mitten auf der Bühne stand ein glänzendes schwarzes Klavier und wartete darauf, dass der Soulstar seine geübten Hände darauflegte – was sich bestimmt auch die meisten Frauen im Saal wünschten. Im Hintergrund der Bühne hob sich ein Vorhang, und ein Gospelchor kam zum Vorschein. Seine Mitglieder hatten dieses gesunde Lächeln im Gesicht, das man nur bei Menschen sieht, die sonntagmorgens nicht mit einem fiesen Kater im Bett liegen, sondern sich ihre Sorgen von der Seele singen.
Im Saal wurde es still. John Legend zog seinen Schemel heran und spielte seine erste Note des Abends. Das Soundsystem gab sie perfekt wieder. Ich wusste, es würde umwerfend werden. Sienna war so aufgeregt, dass sie kaum stillstehen konnte. Die Musik flößte mir das gleiche Gefühl von Wärme ein, wie das, das ich empfand, wenn ich mit Sienna zusammen war. Beides zusammen setzte mein Herz in Flammen.
Als der dritte Song halb vorüber war, strich mir Sienna mit den Fingern über die Hand, und einen Augenblick lang glaubte ich, sie würde sie nehmen. Zuerst geriet ich in Panik, aber dann bemerkte ich, dass es nur eine zufällige Berührung gewesen war. Es wurde wirklich nicht einfacher. Nachdem ich zum zweiten Mal an die Bar gegangen war, sagte ich mir, dass jetzt vielleicht ein günstiger Moment war, um sie zu fragen, wie es mit Ben lief.
»Oh, gut, danke«, flüsterte sie mir ins Ohr, ohne den Blick von der Bühne abzuwenden.
»Nur gut? «, fragte ich leise. Dabei war ich mir dessen nur zu bewusst, dass die Musik jeden Augenblick verstummen konnte – und dann hätte man meine Stimme im ganzen Saal gehört.
»Na ja, es ist etwas schwierig. Er hat ein paar wirklich ernste Familienprobleme, von denen ich nichts wusste, und statt sich von mir helfen zu lassen, schließt er mich aus. Manchmal wirkt er ein bisschen distanziert, und ich verstehe nicht, weshalb er nicht mit mir darüber spricht. Immerhin könnte ich ihm ja vielleicht helfen.« In dem grellen Licht kniff sie die Augen zusammen.
Distanziert? Wie jemand sich Sienna gegenüber distanziert verhalten konnte, überstieg meine Vorstellungskraft.
»Ich bin sicher, er ist bald wieder der Alte«, antwortete ich, um ihr Zuversicht einzuflößen.
Sie nickte still, und ich konnte nicht übersehen, wie bezaubernd ihr Profil war. Ich gab mir große Mühe, das Ganze positiv zu sehen. Ich wollte, dass Sienna glücklich war, und Ben war derjenige, der dem Ziel, sie glücklich zu machen, am nächsten kam. Die anderen waren, offen gesagt, allesamt eine Katastrophe gewesen. Sie hatten ihr zu spät zum Geburtstag gratuliert, sie
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