Eindeutig Liebe - Roman
ihn gefragt, was da gerade passiert war, aber ich konnte den Kerl nicht leiden. Also schüttelte ich nur den Kopf. Ich konnte noch immer nicht sprechen.
»Keine Sorge, Kumpel, mit George ist alles in Ordnung«, versicherte der Sanitäter und schlug mir auf den Rücken. Autsch.
Ich schwieg weiterhin und versuchte angestrengt, all das zu begreifen. Wieder stieg Zorn in mir auf. Wieso hatte Sienna mir nicht erzählt, was los war? Wusste Daniel Dämlich etwa davon und verschwieg es mir? Wusste jeder Bescheid, nur ich nicht? Warum hatte Sienna sich mir nicht anvertraut?
Die Sanitäter kannten George mit Namen; sie hatten offensichtlich schon mal mit ihm zu tun gehabt, wahrscheinlich sogar öfter.
Plötzlich fiel mir etwas ein, was für ein schrecklicher Gedanke. Ich liebe Sienna, und sie liebt dich. Sie braucht dich … Ich liebe deine Tochter. Ganz furchtbar. Ja, genau das hatte ich gesagt, oder? Ich hatte ihm verraten, dass ich sie liebe. Ach du lieber Gott, war das peinlich!
Ich malte mir aus, wie albern ich dabei geklungen haben musste. Wie ich mit kratziger Stimme diese idiotischen Liebesbekundungen aussprach, während mir wie einem verängstigten Jungen die Tränen über das Gesicht liefen.
Ich hatte gedacht, wir ständen uns so nahe, dabei wusste ich gar nichts über sie. Immer noch nicht. Mist.
Sienna
Brot. Milch. Marmelade.
Ich war nur kurz weg gewesen, um ein paar kleine Besorgungen zu machen, doch als ich nach Hause zurückkehrte, herrschte dort das absolute Chaos.
In dem Augenblick, als ich um die Ecke bog, wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert war, denn vor unserem Wohnblock stand ein Krankenwagen mit Blaulicht. Ich konnte mir in diesem Moment zwar noch nicht sicher sein, dass der Rettungswagen wegen meines Vaters gekommen war, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich mir nichts vormachen sollte. In aller Regel kam der Krankenwagen wegen Dad.
Mehrere Schaulustige standen auf dem Rasen vor dem Haus und zeigten zu unserer Wohnung hinauf. Das taten sie jedes Mal – Dorftrottel halt. Ich erkannte die meisten von ihnen; es waren fast immer die gleichen Leute.
Allerdings war Jack nicht da. Jack ist unser Nachbar, ein Mann Anfang sechzig, der mir schon ein paarmal geholfen hat, wenn Dad gestürzt war und ich Mühe hatte, ihm wieder aufzuhelfen. Wenn ich sage »geholfen«, dann meine ich eigentlich »widerstrebend geholfen«. Schon mehrmals musste ich zu nachtschlafender Zeit unangekündigt an seine Tür klopfen. Ich bezweifle, dass ich ihn mir damit zum Freund gemacht habe, aber er ist der Einzige, der in solchen Situationen infrage kommt.
Links von uns wohnt eine gebrechliche alte Dame, die ich nicht um Hilfe bitten kann, deshalb fällt die Wahl automatisch auf Jack. Anfangs schien ihm das nicht sehr zu gefallen. Wahrscheinlich möchte niemand nur gefragt werden, weil er die einzige Wahl ist. Ich glaube aber, dass er mittlerweile eingesehen hat, wie schwer es für mich ist. Wenn ich das Wochenende über weg bin, bringt er inzwischen sogar Essen vorbei, Kühlboxen voller Spaghetti Bolognese und Risotto. Trotz seiner ersten Reaktion empfinde ich es eigentlich nie als peinlich, mich an ihn zu wenden, denn das Einzige, was zählt, ist nun mal, dass Dad unversehrt bleibt.
Mein Puls begann zu rasen. Wie gesagt, es war nicht ungewöhnlich, den Krankenwagen vor unserer Tür stehen zu sehen, aber leichter wurde es dadurch nicht. Ich hatte immer Angst, dass der nächste Sturz Dads letzter sein könnte. Schließlich konnten wir nicht die ganze Wohnung zur Gummizelle machen.
Doch nichts hatte mich auf das vorbereitet, was ich sah, als ich endlich zur Tür hereinkam: Auf unserem Wohnzimmerfußboden saß Nick. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen, er hatte eindeutig geweint. Überall auf dem Fußboden stand eine trübe braune Flüssigkeit. Nick starrte leer vor sich hin, und sein Haar war stellenweise nass. Er stand eindeutig unter Schock.
Dad wurde gerade von zwei kräftigen Sanitätern aufs Sofa gehoben. Er wirkte erschöpft.
Ich wusste nicht, um wen ich mich zuerst kümmern sollte.
»Mir geht es gut, Kleine«, versicherte mein Vater leise und wedelte mit den Armen in Richtung Nick. »Er kam vorbei, um dich zu besuchen. Ich bin bewusstlos geworden, als ich uns einen Tee gemacht habe. Nick hat sich aber wacker geschlagen, Si«, fügte er matt hinzu.
Das war eine Katastrophe! So lange hatte ich all das vor Nick verbergen können. Ich hatte wirklich nicht gewollt, dass er davon erfuhr. Ärger stieg in mir
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