Eindeutig Liebe - Roman
naiv war.
»Ich verstehe, was du meinst, aber wäre das nicht ein bisschen schwierig für dich und deinen Dad?«, fragte ich nach.
»Na, das ist es ja gerade. Es wäre wirklich hart. Die Wohnung ist klein, und das Leben ist für ihn schon schwierig genug. Trotzdem hab ich deswegen ein schlechtes Gewissen.« Sie sah mich an und suchte in meinem dummen Gesicht nach Antworten; das tat sie oft.
Sienna war so nett, dass ich mir sehr sicher war, dass sie den Großteil ihres Lebens mit Schuldgefühlen verbrachte. Wären da nicht ihr Dad und die beengten Verhältnisse, hätte sie wahrscheinlich ein Haus voller Obdachloser, herrenloser Hunde, Katzen und Tauben sowie einsamer alter Menschen, denen sie einmal in den Bus geholfen hatte. Es war einfach absurd.
Ich wusste nicht viel über diesen obdachlosen Typen, aber ich wusste, dass er froh sein konnte, Sienna zu haben. Obwohl sie so schön war, gab es nicht einen Funken Arroganz in ihrer Seele. Und ich wusste auch, wieso: Sienna war so schön, dass niemand es ihr sagte. Woher sollte sie es also wissen?
Die Leute dachten wahrscheinlich, man brauche es ihr nicht zu sagen; es war zu offensichtlich.
»Also«, begann ich, »ich habe zwei Spiele: Donkey Kong und Street Fighter . Du suchst aus.« Ich wechselte das Thema, weil ich das Bedürfnis hatte, die harten Realitäten des Lebens fortzuwischen und sie durch gewalttätige Videospiele aus den Achtzigerjahren zu ersetzen.
Sie kicherte und entschied sich für Donkey Kong . Das hatte ich natürlich vorher gewusst. Ich schob die Kassette unbeholfen in die Konsole und spürte das vertraute Knirschen, mit dem sie sich in der bizarren Mechanik verankerte. Dann nahm ich ein paar große Schlucke Apfelwein und kickte meine Turnschuhe in eine Zimmerecke, wobei ich fast eine Stehlampe umgeworfen hätte. Gott, war ich ein Idiot. Doch ihr schien das zu gefallen – sie lachte ihr tiefes Lachen, das sich manchmal nur schwer zügeln ließ.
Ich hielt den Controller wie ein neugeborenes Baby und überlegte, wie dieses Spiel noch mal gespielt wurde. Es war so lange her, dass es mir nicht mehr einfiel. Sienna schien auf eine beunruhigende Art bereit zu sein: Sie kaute auf ihrer Unterlippe und blinzelte auf den körnigen Bildschirm. Auf keinen Fall durfte sie gewinnen. So etwas könnte meinen Stolz dermaßen verletzen, dass ich mich nie wieder davon erholte.
Für mich wäre das fast so schlimm wie für sie der Zwischenfall mit ihrem Dad – und der war Sienna wirklich verdammt peinlich gewesen. Danach war ich ihr wenigstens eine Woche lang aus dem Weg gegangen. Nein – Videospiele waren mein Territorium …
»Also gut, Si«, erklärte ich und prostete ihr zu. Sie erwiderte den Toast, dann ließ sie sich in ihre Ecke des Sofas sinken.
Die nächsten paar Stunden waren eine einzige Abfolge von Apfelwein und Gelächter. Sienna versuchte mich auf jede mögliche Art abzulenken; einmal zog sie mir sogar den Pullover übers Gesicht. Ich machte sie trotzdem fertig. Die Ordnung des Universums war wiederhergestellt, und ich war glücklich. Obwohl wir so sehr rumgebrüllt und gelacht hatten, klopften die Nachbarn zu meiner Überraschung kein einziges Mal gegen die Wände.
Die Uhr bewegte sich bereits auf ein Uhr morgens zu, als wir uns schließlich so viele Kleiderschichten überzogen, wie wir fanden, und in den Garten hinausgingen. Ich brachte zwei Rum Cola und eine dicke, fette Zigarre mit.
Dann breitete ich ein Handtuch auf der Terrasse aus. Wir setzten uns nebeneinander, und Sienna legte ihren Kopf gegen meine Schulter – er passte perfekt. Die brutale Kälte ließ sie zittern wie ein Welpe, also legte ich meinen Arm um sie und drückte sie fest. Ich zog tief an meiner Zigarre und stieß den Rauch in perfekten kleinen Ringen aus. Wenn ich mir genug Mühe gab, konnte ich ihr jetzt vielleicht sogar sagen, dass ich sie liebte …
Nein. Das war albern. Und unmöglich. Sienna brauchte mich. Plötzlich merkte ich, wie ich mich endgültig von der Möglichkeit verabschiedete, es ihr einfach zu sagen. All das, was ich mir so mühsam in meinem Kopf zurechtgelegt hatte, zog sich so eilig zurück, dass ich es kaum noch hören konnte. Ich wollte nie derjenige sein, der ihr das Herz brach, der sie enttäuschte, der zu spät zum Abendessen kam oder der das ganze Bett in Beschlag nahm. Ich wollte sie nicht zum Weinen bringen oder enttäuschen. Dafür bedeutete sie mir zu viel. Obwohl ich glaubte, sie besser lieben zu können als irgendjemand sonst auf der
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