Eindeutig Liebe - Roman
zurück in ihr eigenes Leben, das ihnen im Vergleich wahrscheinlich ziemlich langweilig vorkommen musste.
»Ich liebe Sienna nicht auf diese Weise, okay? Trotzdem musst du verstehen, wie wichtig mir unsere Freundschaft ist.« Als ich das sagte, zitterte sie an meiner Brust und begann, noch heftiger zu weinen. Aber ich musste ehrlich zu ihr sein. »Chloe, bitte. Da besteht ein riesiger Unterschied. Wenn Sienna und ich sexuell aneinander interessiert wären … meinst du nicht auch, dass dann schon längst etwas passiert wäre? Wir sind schon sehr lange befreundet – das musst du verstehen, Spatz. Und wenn du es nicht verstehst, dann bin ich mir nicht sicher, ob wir … Du weißt schon …« Ich verstummte, unsicher, wie ich einen Satz wie diesen beenden sollte.
Aber ich hatte es gestellt: das große Ultimatum. Letztendlich lief es darauf hinaus, dass mir meine Freundschaft mit Sienna wichtiger war als meine Beziehung mit Chloe. Ich hätte es anders formulieren sollen, doch jetzt, wo es einmal ausgesprochen war, konnte ich es nicht mehr zurücknehmen. Mir war sofort klar, dass ich besser den Mund gehalten hätte.
Das hätte ich wirklich tun sollen, denn das, was sie als Nächstes tat, war schmerzhaft. Es hatte etwas mit ihrer Hand und meinem Gesicht zu tun. Eine Kollision der beiden hinterließ ein rotes Mal auf meiner Wange; alle fünf Finger waren deutlich sichtbar. Ich schwöre, ich habe tatsächlich den Knall gehört … Autsch!
Und dann war sie einfach weg.
Das sah ihr überhaupt nicht ähnlich – sie war nicht der Typ, der Männer in der Öffentlichkeit ohrfeigte. Sie war eine wunderhübsche, kokette, zerbrechliche kleine Blume, gelegentlich etwas frech, aber im Allgemeinen das süßeste Ding, das zu kennen man das Glück haben konnte.
Die Ohrfeige war mein Weckruf; ich begriff, dass das alles wirklich nicht besonders fair war. Weder ihr noch mir noch Sienna gegenüber. Doch ich war auch nicht bereit, irgendetwas daran zu ändern. Ich war bereit, die Freundschaft zwischen Sienna und mir mit allen Mitteln zu verteidigen. So lange hatte ich gegen meine eigentlichen Empfindungen gekämpft. So mühsam hatte ich erfolgreich meine Gefühle unterdrückt. Doch ich würde sie niemals loslassen können.
All das schoss mir durch den Kopf, während die beiden verbleibenden Zuschauer mich mit unverhohlenem Abscheu anstarrten. Als ich meine Hand an mein pochendes Gesicht legte, drehten sie sich um und gingen. Es waren zwei Mädchen im Teenageralter, die Hip-Hop-Klamotten trugen und ihre Haare auf den Köpfen zu Pferdeschwänzen aufgetürmt hatten. Sie bedachten mich mit dem Blick von Menschen, die alles zu wissen glauben und in Wirklichkeit nicht die leiseste Ahnung haben – zumindest nicht im Vergleich zu einem Erwachsenen, der mehrere echte Beziehungen hinter sich gebracht hat. Allein das machte mich schon unglaublich aggressiv.
Wie ein gescholtener Hund ging ich zum Auto zurück. Chloe war nirgendwo zu sehen. Mehrmals versuchte ich sie anzurufen, aber sie hatte ihr Handy ausgeschaltet. Mich ärgerte die Vorstellung, sie in ganz London zu suchen, obwohl ich nichts Falsches getan hatte. Wie ich diese ganze Geschichte hasste! Sie hatte ja keine Ahnung, welche Qualen ich wegen Sienna durchgestanden hatte.
Ich war zu wütend, um Auto zu fahren. Also verschloss ich die Türen von innen und steckte mir eine Zigarette aus der Notfallpackung an, die zusammen mit dem Serviceheft im Handschuhfach herumflog. Der Rauch quoll aus dem Beifahrerfenster, das einen Spaltbreit offen stand.
Mein Herz pochte heftig. Auf der Welt gab es nur einen Menschen, der mich jetzt aufheitern konnte, und das war Sienna. Ich nahm mein Handy und drückte die Zwei – sie war auf einer Schnellwahltaste gespeichert. Ich ließ es zweimal klingeln, dann bekam ich Panik und legte auf. Sie jetzt anzurufen wäre völlig unpassend gewesen, und ich konnte ihr sowieso nicht erzählen, was passiert war. Meine Streitereien mit Chloe, bei denen es um sie ging, hatte ich ihr immer verschwiegen. Und jetzt war es zu spät, um alles zu erklären.
Ich sog den Tabakrauch tief ein und stieß ihn wieder aus. Das Nikotin schoss mir durch den Körper und schenkte mir das angenehme Gefühl, nach dem ich mich in Situationen wie dieser so sehr sehnte. Ich erinnerte mich daran, wie Ross mir an jenem lange zurückliegenden Abend in Brixton gesagt hatte, dass Männer und Frauen nicht einfach nur befreundet sein konnten. Aber wir hatten es geschafft, oder etwa nicht?
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