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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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ausgerechnet jetzt auf die Frage bringe.
    »Na ja«, sagte ich. »Wenn alle so sicher sind, dass Daniel hinter den Bombendrohungen steckt, und sich überlegen, wie er dazu kommt, ist das vielleicht auch ein Anhaltspunkt.«
    Ich hatte einen Scherz machen wollen, aber sie reagierte steif und schien alles, was ich weiter sagte, als Angriff zu empfinden.
    »Das Buch trägt das Programm schon im Untertitel. Heißt es dort nicht Eine einsame Revolution ? Darüber ließe sich für den Anfang doch reden.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Sobald jemand es nur mit ein bisschen Verstand liest, wird er kaum mehr einen Chef über sich akzeptieren und überhaupt ein Problem mit den Lügen haben, die unsere Geschäftswelt zusammenhalten.«
    »Aber Anton, hör dich doch an. Die Lügen, die unsere Geschäftswelt zusammenhalten. Das kann vielleicht ein Vierzehnjähriger sagen, der davon träumt, dass es keine Kriege mehr gibt und alle sich liebhaben, aber nicht du. Nicht jeder Chef ist ein Mörder. Wenn du deine Moral aus den Büchern an den Alltag anlegst, steht von einer Sekunde auf die andere der ganze Laden still. Das ist doch lächerlich.«
    »Kann sein, kann genausogut aber auch nicht sein«, sagte ich. »Man müsste es nur einmal richtig versuchen und sehen, was herauskommt, wenn man es nicht bei Alibihandlungen belässt.«
    »Es ist nicht nur lächerlich, das ist vollkommen verrückt. Weißt du überhaupt, wovon du redest? Keinen Chef mehr über sich zu akzeptieren und eine Bombe zu basteln sind mit Verlaub doch zwei ganz und gar verschiedene Dinge.«
    Ich hatte das Gespräch nur der Lust am Argumentieren wegen vorangetrieben und weil mich ihre Erregung amüsierte, aber als ich jetzt sagte, da sei ich mir nicht ganz so sicher, im Gegenteil, ich glaubte sogar, dass es manchmal nur zwei unterschiedliche Ausdrucksweisen ein und desselben Unbehagens seien, erwiderte sie, es habe keinen Sinn weiterzureden, wenn ich partout verrückt spielen wolle, und ließ mich an der Theke stehen. Schon am Morgen in der Schule hatte ich eine angespannte Atmosphäre wahrgenommen, in der ich mich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Das Gemurmel im Konferenzzimmer verstummte, als ich eintrat, und die Kollegen starrten mich an oder bemühten sich nur allzu offensichtlich, das gerade nicht zu tun. Ich beeilte mich, die Bücher von meinem Platz zu holen und gleich wieder zu verschwinden, bevor mich einer in ein Verhör verwickeln konnte, und in den Pausen ging ich gar nicht erst wieder hin und sah zu, dass ich auf dem Gang allen von weitem auswich. Die Schüler waren aufmerksam wie sonst kaum je, geradeso, als wäre ich für sie ein Lehrer, der unter Beobachtung stand und sich ohne Zweifel noch weiter in den Schlamassel hineinreiten würde, in dem er schon steckte, wenn sie nur lange genug warteten. Ich tat ihnen nicht den Gefallen, sprach in der ersten Stunde über Die Wahlverwandtschaften , ein Buch, das ich nicht mochte und wahrscheinlich auch beim hundertsten Lesen nicht mögen würde, behandelte in der zweiten die Zeit Maria Theresias, ordnete in der dritten Stillbeschäftigung an und erlaubte mir nicht nur keine Abschweifung, sondern bewegte mich mit dem Selbstbewusstsein und der Geschmeidigkeit eines Dompteurs in der Manege, der mit einer ganzen Pantherherde fertig werden würde, am Ende doch die einzige Art, sich Respekt zu verschaffen, mochten die Behutsamkeitsapostel, die einen sanften Umgang predigten, und ihre Adepten sagen, was sie wollten. Der Direktor gab sich beschäftigt, als ich bei ihm vorsprach, schaute kaum vom Schreibtisch auf, solange ich ihm gegenübersaß, seine Art, sein Missfallen kundzutun, und wiederholte nur, was er schon am Abend davor gesagt hatte, ich solle ihm nichts verheimlichen, wenn ich mehr wüsste. Ich war schon am Gehen, als er mir mit aufreizender Beiläufigkeit mitteilte, der Bauplan der Bombe scheine zu funktionieren, wie auch immer er so schnell an diese Information gekommen war, und dann fragte er mich, ob ich schon gehört hätte, dass sich jetzt auch die Hauptstadtblätter unserer unseligen Geschichte annehmen würden, und beugte sich wortlos wieder über seine Papiere.
    Ich hatte bereits vor Jahren aufgehört, die Wiener Zeitungen zu lesen, auch die sogenannten Qualitätszeitungen, wie man mit dem Rauchen aufhört, wie man aufhört, sich ungesund zu ernähren oder aufdringliche Leute mit schlechten Manieren zu treffen, auf die man sich besser gar nie eingelassen hätte, und was wunder, es fehlte

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