Eine Ahnung vom Anfang
mir nichts. Wenn ich an diesem Tag trotzdem schon informiert war, lag das daran, dass Barbara mich angerufen hatte, genau als ich am Morgen aus dem Haus wollte. Ich ärgerte mich immer noch, dass ich in der ersten Überraschung mit der dummen Frage reagierte, was mir nach all der Zeit die Ehre verschaffe, geradeso, als wäre ich beleidigt, weil sie damals gegangen war, aber dann verloren wir zum Glück kein Wort darüber, und sie sagte nur, sie sei sofort auf Daniel gekommen, als sie von den Bombendrohungen in unserer Stadt gelesen habe. Es machte sich kein Triumph darin bemerkbar, keine Häme, dass sie es immer schon gewusst habe, nur Besorgtheit, und ihr gegenüber gab ich meine Haltung auf, es sei keineswegs gesichert, dass er dahinterstecke, mit der ich Daniel gegen jeden anderen verteidigt hatte, und sprach in einer Weise über ihn, als glaubte ich es auf einmal selbst. Dabei empfand ich ein Gefühl von Verrat, aber es wirkte auch erleichternd, sich wenigstens für die kurze Dauer des Gesprächs nicht schon wieder gegen den Augenschein stemmen zu müssen, und als Barbara sich erkundigte, ob es irgend etwas gebe, was sie tun könne, fragte ich mich, wie er das aufnehmen würde. Ich stellte mir vor, er könnte uns zuhören und würde über unsere temperierte Art, von ihm zu sprechen, in ein ungläubiges Lachen ausbrechen und seinen Weg finden, sie zu sabotieren, bevor jeder klare Gedanke in einem Sud aus Wohlwollen und Verständnis ertrank.
Barbaras letzte Frage war, ob ich schon draußen am Fluss gewesen sei. Ich sagte nein, und als sie wissen wollte, ob ich Angst hätte, hinauszufahren, sagte ich ja. Das blieb der einzige Augenblick, in dem ich dachte, dass sie vielleicht doch nicht nur besorgt war und im Zweifelsfall schnell in ihr altes Denken verfallen würde, dass Daniel mein Verderben sei.
»Angst wovor?« fragte sie und ließ sich auffallend Zeit, bevor sie weitersprach. »Dass er dasein könnte oder dass er nicht dasein könnte?«
Jähe Kippwirkungen in meinem Bewusstsein hatte ich schon öfter erlebt, jedoch nicht mit einer derartigen Heftigkeit, wie sie mich jetzt überfielen. Ich wusste natürlich, dass wir über Daniel sprachen, aber mit einem Mal drängte sich mir das Bild von Robert auf, wie er an den Fluss hinausgefahren war. Nicht weit von der Stelle, an der er seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, war im Wald sein Fahrrad entdeckt worden, und von dort dürfte er in die Schlucht geklettert sein, ein gefährlicher Abstieg, aber was hieß in seiner Situation schon gefährlich? Ich sah ihn vor mir, wie er sich eine Felsrinne hinuntertastete, das Gewehr auf dem Rücken, das er nie und nimmer gegen sich selbst richten könnte, wenn er diesen Aufwand trieb, und kam nicht von dem paradoxen Wunsch los, dass er abgestürzt wäre, weil er es dann nicht getan hätte. Zwar wehrte ich mich immer gegen den Gedanken, mein Festhalten an Daniel habe etwas mit Robert zu tun, aber das jetzt waren keine Gedanken, es war ein Streich, den mir das Hirn spielte.
»Wahrscheinlich habe ich Angst vor beidem.«
»Dass er dasein könnte und dass er nicht dasein könnte?«
»Es mag verrückt klingen, aber so ist es.«
Das waren nur meine eigenen Kapriolen, doch wie sich die Geschichten über Daniel mehr und mehr verdichteten und ins Absurde auswuchsen, konnte ich auch daran sehen, was Herr Bleichert mir erzählte. Er fing mich vor der Schule ab und erzwang ein Gespräch. Ich gab vor, es eilig zu haben, aber er ließ sich nicht abschütteln und stolperte mehr, als er ging, im Laufschritt neben mir her, während er sagte, durch das »Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida!« sei er wieder auf eine Sache gebracht worden, die er schon vergessen geglaubt habe. Dann wusste er nichts Besseres, als mir im nächsten Satz anzuvertrauen, dass es bereits vor Daniels Bericht über Israel etwas mit ihm gegeben habe, das sich zu einer Affäre hätte entwickeln können und das zeige, welcher Fanatismus in ihm schlummere.
»Es ist während deiner Zeit in Istanbul gewesen«, sagte er. »Ich habe in seiner Klasse über Savonarola gesprochen, und als ich die Schüler gebeten habe, Vorschläge zu machen, was man in der Fastenzeit tun könnte, um sich wenigstens ein paar Tage lang in seinen Bedürfnissen einzuschränken, ist er mit der Idee gekommen, eine Verbrennung der Eitelkeiten zu veranstalten.«
»Eine Verbrennung der Eitelkeiten?«
»So wie Savonarola damals in Florenz.«
»Aber das ist doch eine Ewigkeit her.«
Ich sah ihn
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