Eine Andere Welt
wissen, was das heißt, heutzutage. Dank diesem Arschloch McNulty und meinem lieben Bruder. Mein Bruder, der Polizeigeneral.« Abscheu und Ekel machten ihr Gesicht häßlich, doch dann zeigte sie wieder ihr provozierendes Lächeln. Ihr träges, goldenes, einladendes Lächeln.
»Ich will wissen, wo ich bin«, sagte Jason.
»Sie sind in meinem Haus und können sich vollkommen sicher fühlen; wir haben Sie von all diesen Wanzen befreit. Und niemand wird hier einbrechen. Wissen Sie was?« Sie sprang plötzlich auf, schnellte aus dem Sessel wie ein übergeschmeidiges Tier, daß er unwillkürlich zurückschrak. »Haben Sie es schon mal per Telefon gemacht?« fragte sie ihn mit leuchtenden Augen.
»Was?«
»Das Netz«, sagte Alys. »Wissen Sie nichts vom Telefonnetz?«
»Nein«, sagte er. Aber er hae davon gehört.
»Die sexuellen Triebkräe der Teilnehmer werden elektronisch miteinander verbunden und bis an die Grenze des Erträglichen verstärkt. Es ist suchterzeugend, weil es elektronisch überhöht ist. Manche Leute kommen nicht mehr davon los; ihr ganzes Leben dreht sich um die wöchentliche – oder sogar tägliche! – Etablierung des Netzes von Telefonleitungen. Es sind gewöhnliche Videofone, die mit einer Kreditkarte eingeschaltet werden können, also ist das Vergnügen kostenlos, wenn man es hat; die Veranstalter berechnen einmal im Monat, und wenn man nicht bezahlt, trennen sie einem das Telefon aus dem Netz.«
»Wie viele Leute«, fragte er, »sind an dieses Netz angeschlossen?«
»Ich weiß nicht. Tausende.«
»Gleichzeitig?«
Alys nickte. »Die meisten machen es seit zwei, drei Jahren. Und sie sind physisch und psychisch verfallen. Denn der Teil des Gehirns, in dem der Orgasmus erfahren wird, brennt allmählich aus. Aber verurteilen Sie die Leute nicht voreilig; zu den Teilnehmern gehören einige der feinsten und sensibelsten Menschen. Für sie ist es eine Art heiliger Kommunion. Wie auch immer, man erkennt sie, wenn man sie sieht; sie sehen verlebt, alt, fe und lustlos aus – letzteres natürlich immer zwischen den telefonischen Orgien.«
»Und Sie nehmen auch daran teil?« Sie sah nicht verlebt, alt, fe oder lustlos aus.
»Hin und wieder. Aber ich bin nicht in Gefahr, süchtig zu werden; ich schalte mich immer rechtzeitig aus. Möchten Sie einen Versuch machen?« »Nein«, sagte er.
»Wie Sie wollen«, sagte Alys tolerant. »Was würden Sie gern tun? Wir haben eine gute Sammlung von Rilke und Brecht in interlinearen Übersetzungen. Kürzlich brachte Felix alle sieben Sibelius-Sinfonien mit nach Haus. Quadrophonie mit Lichteffekten; es ist sehr gut. Zum Abendessen bereitet Emma Froschschenkel vor ... Felix ist ein Liebhaber von Froschschenkeln und Weinbergschnecken. Meistens ißt er in guten französischen und baskischen Restaurants, aber heute abend ...«
»Ich will wissen«, unterbrach Jason sie, »wo ich bin.« »Können Sie nicht einfach glücklich und zufrieden sein?« Er stand mit einiger Mühe auf und trat ihr gegenüber. Wortlos.
20
D
as Meskalin hae stark auf ihn zu wirken begonnen. Der Raum füllte sich mit Farben, und die Perspektive veränderte sich so, daß die Decke unendlich hoch schien, Millionen von Kilometern. Und als er Alys betrachtete, sah er ihr Haar lebendig werden ... wie ein Medusenhaupt, dachte er und erschrak.
Alys ignorierte ihn und fuhr fort: »Am meisten schätzt Felix die baskische Küche, aber die kochen mit so viel Buer, daß er davon Pförtnerkrämpfe bekommt. Er hat auch eine gute Sammlung von unheimlichen Geschichten aus allen Zeiten, und er mag Baseball. Und – mal sehen ...« Sie schlenderte davon und tippte mit dem Zeigefinger gegen die Lippen, während sie nachdachte. »Ja, er interessiert sich für alles Okkulte. Wollen Sie ...«
»Ich fühle etwas«, sagte Jason.
»Was fühlen Sie?«
»Ich fühle, daß ich nicht weg kann.«
»Das ist das Meskalin. Machen Sie sich nichts daraus.« »Ich ...« Er grübelte, ohne zu klaren Gedanken zu gelangen; ein
gigantisches Gewicht lastete auf seinem Gehirn, doch war dieses Gewicht da und dort von Lichtstrahlen durchschossen.
»Was ich sammle«, sagte Alys, »ist im Nebenraum, den wir die Bibliothek nennen. Dies ist das Arbeitszimmer. In der Bibliothek hat Felix alle seine juristischen Bücher ... wußten Sie, daß er nicht nur Polizeigeneral, sondern auch Anwalt ist? Und er hat manches Gute getan, das muß ich zugeben. Wissen Sie, was er mal gemacht hat?«
Er konnte nicht antworten; er konnte nur dastehen und hörte die
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