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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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entscheidender Bedeutung, die Finger gespreizt zu halten, denn wenn ich sie  schlösse, würde ich das Zwielicht nicht um Macht und Ruhe bitten, sondern ihm drohen. Er korrigierte auch meinen Lauf. Er sagte, er solle ruhig und gleichmäßig sein, als liefe ich tatsächlich mit ausgestreckten Armen auf das Zwielicht zu. In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen. Es war, als ob das Zwielicht, anstatt mich zu beruhigen, mich bis zur Ekstase erregt hatte.
    »So viele Dinge in meinem Leben sind noch in der Schwebe«, sagte ich. »So viele Dinge sind ungelöst.« Don Juan kicherte leise.
    »Nichts auf der Welt ist in der Schwebe«, sagte er. »Nichts ist vollendet, aber es ist auch nichts ungelöst. Schlaf jetzt.« Don Juans Worte waren seltsam beruhigend. Am nächsten Morgen, gegen zehn Uhr, gab Don Juan mir etwas zu essen, und dann machten wir uns auf den Weg. Er flüsterte mir zu, daß wir der Frau gegen Mittag begegnen würden, oder vielleicht auch schon am Vormittag. Er sagte, die ideale Zeit seien die frühen Stunden des Tages gewesen, weil eine Hexe am Morgen stets weniger mächtig und weniger aufmerksam ist, aber um diese Zeit würde sie niemals den Schutz ihres Hauses verlassen. Ich stellte keinerlei Fragen. Er dirigierte mich auf den Highway, und an einer bestimmten Stelle meinte er, ich solle anhalten und am Straßenrand parken. Dort, sagte er, müßten wir warten. lch sah auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor elf. Ich gähnte mehrmals. Ich war wirklich schläfrig. Meine Gedanken wanderten ziellos umher.
    Plötzlich setzte Don Juan sich auf und stupste mich an. Ich fuhr in meinem Sitz hoch. »Dort ist sie!« sagte er.
    Ich sah eine Frau am Rand eines bebauten Feldes auf den Highway zugehen. Sie trug einen Korb unter dem rechten Arm. Bis dahin hatte ich nicht bemerkt, daß wir in der Nähe einer Kreuzung parkten. Parallel zum Highway verliefen zwei schmale Pfade, und ein breiterer, verkehrsreicherer Weg verlief im rechten Winkel zum Highway. Offensichtlich müßten die Leute, wenn sie diesen Weg benutzten, die befestigte Straße überqueren. Als die Frau noch auf der Sandstraße war, befahl mir Don Juan, aus dem Auto zu steigen. »Tu es jetzt«, sagte er entschlossen. Ich gehorchte. Die Frau hatte den Highway beinah erreicht. Ich lief und überholte sie. Ich war ihr so nah, daß ich den Stoff ihrer Kleider an meinem Gesicht spürte. Ich zog den Wildschweinhuf unter meinem Hemd hervor und stieß damit auf sie los. Ich spürte keinen Widerstand in dem stumpfen Gegenstand in meiner Hand. Ich bemerkte einen flüchtigen Schatten vor mir, wie einen Vorhang. Mein Kopf drehte sich nach rechts, und ich sah die Frau etwa fünfzehn Meter von mir entfernt auf der anderen Straßenseite stehen. Sie war eine ziemlich junge, dunkelhäutige Frau mit einem kräftigen, stämmigen Körper. Sie lächelte mich an. Ihre Zähne waren weiß und groß, und ihr Lächeln war gelassen. Sie hatte die Augen halb geschlossen, wie um sie gegen den Wind zu schützen. Sie hielt immer noch ihren Korb unter dem rechten Arm.
    Ich erlebte einen Moment einzigartiger Verwirrung. Ich sah mich nach Don Juan um. Er machte hektische Gebärden, um mich zurückzurufen. Ich lief zurück. Drei oder vier Männer kamen auf mich zugeeilt. Ich sprang in den Wagen und raste in entgegengesetzter Richtung davon.
    Ich wollte Don Juan fragen, was geschehen war, aber ich konnte nicht sprechen. Meine Ohren platzten fast unter einem gewaltigen Druck. Ich spürte, daß ich zitterte. Er schien sich zu freuen und begann zu lachen. Es war, als sei ihm mein Mißerfolg gleichgültig. Meine Hände lagen so fest am Lenkrad, daß ich sie nicht bewegen konnte. Sie waren wie festgefroren. Meine Arme, wie auch meine Beine, waren erstarrt. Tatsächlich konnte ich nicht einmal den Fuß vom Gaspedal nehmen. Don Juan klopfte mir auf den Rücken und sagte, ich solle mich entspannen. Nach und nach ließ der Druck auf meinen Ohren nach.
    »Was ist dort hinten geschehen?« fragte ich schließlich. Er kicherte wie ein Kind, ohne zu antworten. Dann fragte er mich, ob ich bemerkt hätte, wie die Frau sich aus dem Staub gemacht hatte. Er lobte ihre großartige Schnelligkeit. Don Juans Gerede schien so ungereimt, daß ich ihm wirklich nicht folgen konnte. Er lobte diese Frau! Er sagte, ihre Macht sei makellos, und sie sei eine unbarmherzige Feindin. Ich fragte Don Juan, ob ihm mein Versagen nichts ausmache. Ich war wirklich überrascht und verärgert angesichts dieses Stimmungswechsels. Er

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