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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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diese Furcht?« Ich konnte nicht antworten.
    »Dieser Geist ist dir auf der Spur«, sagte er. »Er hat dich schon im Wasser berührt. Ich versichere dir, daß er dich wieder anrühren wird, vermutlich wirst du nicht darauf vorbereitet sein, und diese Begegnung wird dein Ende sein.« Don Juans Worte beunruhigten mich zutiefst. Meine Gefühle waren sehr eigenartig. Ich war besorgt, aber ich hatte keine Angst. Was immer mir geschah, es konnte nicht mehr meine alte blinde Angst auslösen. »Was soll ich tun?« fragte ich.
    »Du vergißt zu leicht«, sagte er. »Der Weg des Wissens will erzwungen sein. Wir müssen angetrieben werden, damit wir lernen. Auf dem Pfad des Wissens kämpfen wir ständig gegen irgend etwas, vermeiden irgend etwas oder bereiten uns auf irgend etwas vor. Und dieses Etwas ist stets unerklärlich und größer und mächtiger als wir selbst. Die unerklärlichen Kräfte werden zu dir kommen. Jetzt ist es der Geist des Wasserloches, später wird es dein eigener Verbündeter sein, darum kannst du nichts tun, außer dich auf den Kampf vorzubereiten. Vor Jahren trieb dich la Catalina an, aber das war ein Anfängertrick.
    Die Welt ist wirklich voller beängstigender Dinge, und wir sind hilflose Geschöpfe, umgeben von unerklärlichen, unbeugsamen Kräften. Ein Durchschnittsmensch glaubt in seiner Unwissenheit, diese Kräfte könnten erklärt oder verändert werden. Er weiß nicht wirklich, wie, aber er erwartet, daß es der Menschheit früher oder später gelingen wird, sie zu erklären oder zu verändern. Der Zauberer hingegen denkt nicht daran, sie zu erklären oder zu verändern. Statt dessen lernt er, diese Kräfte zu nutzen, indem er sich von ihnen führen läßt und sich ihrer Richtung anpaßt. Das ist sein Trick. An der Zauberei ist nicht viel dran, sobald du den Trick herausfindest. Ein Zauberer ist nur wenig besser dran als ein Durchschnittsmensch. Die Zauberei hilft ihm nicht, ein besseres Leben zu führen. Ja, ich sollte vielleicht sogar sagen, daß die Zauberei ihn behindert. Sie macht sein Leben beschwerlich und gefährlich. Indem er sich dem Wissen öffnet, wird der Zauberer verletzlicher als der Durchschnittsmensch. Auf der einen Seite wird er von seinen Mitmenschen gefürchtet und gehaßt, so daß sie nach seinem Leben trachten, und auf der anderen Seite sind die unerklärlichen und unbeugsamen Kräfte, die alles Lebende und damit jeden von uns umgeben, für den Zauberer eine Quelle noch größerer Gefahr. Von einem Mitmenschen aufgespießt zu werden, ist schon qualvoll, aber nichts im Vergleich mit der Berührung eines Verbündeten. Ein Zauberer, der sich dem Wissen öffnet, wird zur Beute dieser Kräfte, und er hat nur ein Mittel, das Gleichgewicht zu halten - seinen Willen. Er muß fühlen und handeln wie ein Krieger. Ich wiederhole es dir noch einmal: nur ein Krieger kann auf dem Weg des Wissens überleben. Was dem Zauberer hilft, ein besseres Leben zu führen, ist die Kraft des Kriegers.
    Es ist meine Aufgabe, dich sehen zu lehren. Nicht, weil ich persönlich es will, sondern weil du erwählt bist. Du wurdest mir von Mescalito gezeigt. Aber mein eigenes Verlangen ist es, dich zu lehren, wie ein Krieger zu fühlen und zu handeln. Ich persönlich glaube, ein Krieger zu sein ist besser als alles andere. Darum habe ich mich bemüht, dir diese Kräfte so zu zeigen, wie ein Zauberer sie wahrnimmt, denn nur unter ihrer furchtbaren Wirkung kann man ein Krieger werden. Sehen, ohne bereits ein Krieger zu sein, würde dich schwächen. Es würde dir eine falsche Sanftmut geben, ein Bedürfnis, dich zurückzuziehen. Dein Körper würde verfallen, weil du gleichgültig würdest. Es ist meine persönliche Pflicht, dich zu einem Krieger zu machen, damit du nicht zugrunde gehst. Ich habe dich immer wieder sagen hören, daß du jederzeit darauf vorbereitet bist, zu sterben. Dieses Gefühl finde ich unnötig. Ich glaube, es ist ein nutzloses Sichgehenlassen. Ein Krieger sollte nur auf den Kampf, auf die Schlacht vorbereitet sein. Ich habe dich auch sagen hören, daß deine Eltern deinen Geist verletzten. Ich glaube, der Geist eines Menschen ist sehr leicht zu verletzen, wenn auch nicht durch die Handlungen, die du für verletzend hältst. Ich glaube, daß deine Eltern dich verletzten, indem sie dir die Neigung zum Sichgehenlassen, zur Sanftmut und zum Nachdenken gaben.
    Der Geist eines Kriegers ist nicht darauf eingestellt, sich gehenzulassen und zu klagen, noch geht er auf Sieg oder Niederlage aus. Der

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