Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Mitleid. Eine Welle von Mitgefühl und Besorgnis überkam mich. Mit dumpfer, dramatischer Stimme versicherte er mir, daß es keine Möglichkeit gab, sie aufzuhalten, und daß es das nächstemal, wenn sie in seine Nähe käme, sein letzter Tag auf Erden sein würde. Ich war verzagt, mir kamen fast die Tränen. Don Juan schien meine tiefe Besorgnis zu bemerken und lachte, wie es mir schien, tapfer. Er klopfte mir auf den Rücken und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, er sei noch nicht ganz verloren, weil er noch einen letzten Trumpf in der Hand hätte.
»Ein Krieger lebt strategisch«, sagte er lächelnd. »Ein Krieger schleppt nie eine Last, mit der er nicht fertig wird.« Don Juans Lächeln hatte die Kraft, die dunklen Wolken des Verhängnisses zu vertreiben. Plötzlich fühlte ich mich erleichtert, und wir lachten beide. Er tätschelte meinen Kopf. »Weißt du, von allen Dingen auf dieser Welt bist du meine letzte Karte«, sagte er unvermittelt und schaute mir gerade in die Augen. »Was?«
»Du bist mein letzter Trumpf in meinem Kampf gegen diese Hexe.« Ich verstand nicht, was er meinte, und er erklärte mir, daß die Frau mich nicht kannte und daß ich, wenn ich die Karten nach seinen Anweisungen ausspielte, eine mehr als gute Chance hätte, sie aufzuspießen. »Was meinst du damit, >sie aufspießen«
»Du kannst sie nicht töten, sondern du mußt sie aufspießen, wie einen Luftballon. Wenn du das tust, wird sie mich in Ruhe lassen. Aber denk jetzt nicht darüber nach. Ich werde dir sagen, was du tun sollst, wenn die Zeit kommt.« Monate vergingen. Ich hatte den Zwischenfall vergessen und wurde überrascht, als ich eines Tages vor seinem Haus eintraf. Don Juan kam herausgelaufen und ließ mich nicht aus dem Auto steigen.
»Du mußt sofort weiterfahren«, flüsterte er mit beängstigendem Nachdruck. »Hör jetzt aufmerksam zu. Kauf ein Gewehr oder besorge dir sonstwie eines. Bring nicht dein eigenes Gewehr mit, verstehst du? Besorge irgendein Gewehr, außer deinem eigenen, und bring es direkt hierher.«
»Wozu brauchst du ein Gewehr?«
»Fahr jetzt los.«
Ich kehrte mit einem Gewehr zurück. Ich hatte nicht genug Geld bei mir gehabt, um eines zu kaufen, aber ein Freund hatte mir sein altes Gewehr gegeben. Don Juan sah es gar nicht an. Er erklärte mir lachend, er sei so kurz angebunden gewesen, weil die Amsel auf dem Dach seines Hauses gesessen hatte und er nicht wollte, daß sie mich sah.
»Als ich die Amsel auf meinem Dach entdeckte, hatte ich die Idee, du könntest ein Gewehr holen und sie damit aufspießen«, sagte Don Juan mit Nachdruck. »Ich möchte nicht, daß dir etwas passiert, darum schlug ich dir vor, daß du das Gewehr kaufen oder dir irgendwie eines beschaffen solltest. Weißt du, du mußt das Gewehr vernichten, nachdem du die Aufgabe beendet hast.«
»Über welche Aufgabe sprichst du?«
»Du mußt versuchen, die Frau mit deinem Gewehr aufzuspießen.« Er ließ mich das Gewehr reinigen und wies mich an, es mit den Blättern und Stengeln einer sonderbar duftenden Pflanze einzureihen. Er selbst rieb zwei Patronen ein und steckte sie in die Läufe. Dann sagte er, ich müsse mich vor dem Haus verstecken und solle dann sorgfältig zielen und beide Läufe abfeuern. Mehr als die Schrotkugeln würde der Überraschungseffekt die Frau aufspießen, und wenn ich kraftvoll und entschlossen sei, könnte ich sie zwingen, ihn in Ruhe zu lassen. Meine Treffsicherheit müsse einwandfrei sein, genau wie meine Entschlossenheit, sie aufzuspießen.
»In dem Moment, wo du schießt, mußt du schreien«, sagte er. »Es muß ein kräftiger und durchdringender Schrei sein.« Dann häufte er, etwa drei Meter von der ramada entfernt, .einige Bündel Bambus und Feuerholz auf. Ich sollte mich gegen den Haufen lehnen. Ich saß in einer recht bequemen, halb sitzenden Stellung; mein Rücken war abgestützt, und ich hatte einen guten Ausblick auf das Dach. Er sagte, noch sei es für die Hexe zu früh zu kommen, und bis zur Dämmerung müßten wir alle Vorbereitungen getroffen haben; er würde dann so tun, als schlösse er sich im Haus ein, um sie anzulocken und zu einem neuen Angriff auf ihn herauszufordern. Er sagte mir, ich solle mich entspannen und eine bequeme Stellung finden, aus der ich schießen konnte, ohne mich zu bewegen. Er ließ mich einige Male auf das Dach zielen und stellte fest, daß die Bewegung, mit der ich das Gewehr an die Schulter hob und zielte, zu langsam und schwerfällig war. Daraufhin baute er
Weitere Kostenlose Bücher