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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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verspürte eine unheimliche  Erregung, ein Jucken, eine angenehme Leere in der Gegend des Solarplexus. Meine Unterleibsgegend wurde mir bewußt. Ich spürte seine Hitze. Ich konnte nicht mehr zusammenhängend sprechen und murmelte etwas, dann hörte ich überhaupt zu sprechen auf.
    »Vielleicht ist es das Versprechen«, sagte Don Juan nach einer langen Pause. »Wie bitte?«
    »Ein Versprechen, das du vor langer Zeit gegeben hast.«
»Was für ein Versprechen?«
    »Vielleicht kannst du mir das sagen. Du erinnerst dich doch, nicht wahr?«
»Nein.«
    »Du hast einmal etwas sehr Wichtiges versprochen. Ich dachte, daß vielleicht dieses Versprechen dich hindert zu sehen.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Ich spreche von einem Versprechen, das du gemacht hast! Du mußt dich daran erinnern.«
    »Wenn du weißt, was für ein Versprechen das war, warum sagst du es mir dann nicht, Don Juan?«
»Nein. Es wäre nicht gut, es dir zu sagen.«
»War es ein Versprechen, das ich mir selbst gegeben habe?« Für einen Augenblick dachte ich, er meinte vielleicht meinen Entschluß, die Lehrzeit abzubrechen. »Nein. Es ist etwas, das vor sehr langer Zeit stattfand«, sagte er. Ich lachte, denn ich war sicher, daß Don Juan irgendein Spiel mit mir trieb, und ich war in der Stimmung, darauf einzugehen. Die Vorstellung, Don Juan zum Narren halten zu können, erheiterte mich, denn ich war überzeugt, daß er so wenig wie ich über das angebliche Versprechen wußte. Ich war sicher, daß er nur im trüben fischte und zu improvisieren versuchte, Der Gedanke, ihn an der Nase herumzuführen, machte mir Spaß.
    War es ein Versprechen, das ich meinem Großvater gab?«
»Nein«, sagte er, und seine Augen funkelten, »und es war auch kein Versprechen, das du deiner lieben Großmama gegeben hast.«
    Die alberne Betonung, die er auf das Wort »Großmama« legte, brachte mich zum Lachen. Ich glaubte, Don Juan wollte mir irgendeine Falle stellen, aber ich war gewillt, das Spiel bis zum Ende mitzuspielen. Ich begann alle möglichen Leute aufzuzählen, denen ich etwas Wichtiges versprochen haben konnte. Bei jedem sagte er nein. Dann lenkte er das Gespräch auf meine Kindheit. »Warum war deine  Kindheit traurig?« fragte er mit ernstem Gesicht.
    Ich sagte ihm, daß meine Kindheit nicht wirklich traurig gewesen war, sondern vielleicht ein wenig schwierig.
    »Jeder empfindet das so«, sagte er und sah mich wieder an.
    »Auch ich war unglücklich und hatte Angst, als ich ein Kind war. Ein Indianerkind zu  sein ist schwer, sehr schwer. Aber die Erinnerung an diese Zeit bedeutet mir nichts mehr, nur daß sie schwer war. Schon bevor ich sehen lernte, habe ich aufgehört, über die Härte meines Lebens nachzudenken.«
    »Auch ich denke nicht über meine Kindheit nach«, sagte ich.
    »Warum macht sie dich dann traurig? Warum möchtest du weinen?«
    »Ich weiß nicht. Wenn ich an mich als Kind denke, dann tut es mir um mich und alle  meine Mitmenschen leid. Ich fühle mich hilflos und traurig.«
    Er fixierte mich mit den Augen, und wieder registrierte ich in der Gegend des Unterleibs dieses unheimliche Gefühl, von zwei Fingern sanft gekniffen zu werden. Ich wandte die Augen ab und schaute dann wieder zu ihm hin. Er blickte in die Ferne, an mir vorbei. Seine Augen waren verschleiert und auf keinen festen Punkt gerichtet. »Es war ein Versprechen aus deiner Kindheit«, sagte er nach längerem Schweigen. »Was habe ich versprochen?«
    Er antwortete nicht. Seine Augen waren geschlossen. Ich lächelte unwillkürlich. Ich wußte, daß er sich aufs Geratewohl vortastete; immerhin hatte meine ursprüngliche Absicht, ihn auf den Arm zu nehmen, etwas nachgelassen. »Ich war ein mageres Kind«, fuhr er fort, »und ich hatte immer Angst.«
»Genau wie ich«, sagte ich. »Woran ich mich am besten erinnern kann, sind der Schrecken und die Traurigkeit, die mich befielen, als die mexikanischen Soldaten meine Mutter töteten«, sagte er leise, als schmerzte ihn die Erinnerung noch immer. »Sie war eine arme, verschüchterte Indianerin. Vielleicht war es besser, daß ihr Leben damals zu Ende ging. Ich wollte mit ihr zusammen getötet werden, weil ich ein Kind war. Aber die Soldaten packten mich und schlugen mich. Als ich mich am Körper meiner Mutter festhielt, schlugen sie mir mit einer Reitpeitsche auf die Hände und brachen meine Finger. Ich spürte keinen Schmerz, aber ich konnte mich nicht mehr festhalten, und so schleppten sie mich fort.«
    Er hörte auf zu

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