Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
sagen, aber er legte mir die Hand auf den Mund. Statt die Schlucht auf dem gleichen Weg zu verlassen, auf dem wir gekommen waren, machte Don Juan einen Umweg. Wir kletterten den Berghang hinauf und kamen, weit entfernt vom Eingang der Schlucht, bei einigen Hügeln heraus. In tiefem Schweigen gingen wir zu seinem Haus zurück. Als wir dort ankamen, war es schon dunkel. Ich wollte wieder etwas sagen, aber Don Juan legte mir die Hand auf den Mund.
Wir aßen nichts und zündeten auch nicht die Kerosinlampe an. Don Juan legte meine Matte ins Zimmer und deutete mit einer Kopfbewegung darauf. Ich verstand, daß ich mich hinlegen und schlafen sollte.
»Ich weiß das Richtige für dich«, sagte Don Juan, sobald ich am nächsten Morgen aufwachte. »Heute wirst du anfangen. Die Zeit ist knapp, wie du weißt.«
Nach einer langen, ungemütlichen Pause konnte ich nicht anders, als ihn fragen: »Was hast du gestern in der Schlucht mit mir gemacht?« Don Juan kicherte wie ein Kind.
»Ich habe einfach den Geist des Wasserlochs angerufen«, sagte er. »Dieser Geist darf nur beschworen werden, wenn das Wasserloch trocken ist, wenn der Geist sich in die Berge zurückgezogen hat. Gestern haben wir ihn sozusagen aus dem Schlaf geweckt. Aber er nahm es nicht übel und deutete in deine Glücksrichtung. Seine Stimme kam aus dieser Richtung.« Don Juan deutete nach Südosten. »Was war das für eine Saite, auf der du gespielt hast, Don Juan?«
»Ein Geisterfänger.«
»Kann ich ihn mal sehen?«
»Nein. Ich werde dir einen machen. Oder noch besser, du wirst dir eines Tages selbst einen machen, wenn du sehen gelernt hast.«
»Woraus ist er gemacht, Don Juan?«
»Meiner ist ein Wildschwein. Wenn du einen eigenen hast, dann wirst du erkennen, daß er lebt und dich die verschiedenen Geräusche, die er liebt, lehren kann. Mit einiger Übung wirst du den Geisterfänger so gut kennenlernen, daß ihr zusammen machtvolle Geräusche erzeugen könnt.«
»Warum hast du mich mitgenommen, den Geist des Wasserloches zu suchen, Don Juan?«
»Das wirst du recht bald wissen.« Gegen elf Uhr dreißig saßen wir unter seiner ramada, und er stopfte mir seine Pfeife. Als mein Körper ganz taub war, befahl er mir aufzustehen. Das gelang mir diesmal sehr leicht. Er half mir umherzugehen. Ich war über meine Körperbeherrschung überrascht. Tatsächlich konnte ich ohne Hilfe zweimal um die ramada herumgehen. Don Juan blieb neben mir, aber er brauchte mich weder zu führen noch mir zu helfen. Dann nahm er mich am Arm und führte mich zum Wassergraben. Er hieß mich am Ufer niedersitzen und befahl mir energisch, das Wasser anzustarren und an nichts anderes zu denken. Ich versuchte, meinen Blick auf das Wasser zu konzentrieren, aber seine Bewegung lenkte mich ab. Meine Gedanken und meine Augen beschäftigten sich mit anderen Bildern der unmittelbaren Umgebung. Don Juan schüttelte meinen Kopf und befahl mir, nur das Wasser anzuschauen und an gar nichts zu denken. Er sagte, es sei schwer, ins bewegte Wasser zu starren, und man müsse es immer wieder versuchen. Ich versuchte es dreimal, und jedesmal wurde ich von etwas anderem abgelenkt. Don Juan schüttelte mir jedesmal geduldig den Kopf. Schließlich bemerkte ich, wie meine Gedanken und meine Augen sich auf das Wasser zu konzentrieren begannen. Obwohl es sich bewegte, versenkte ich mich in die Betrachtung seiner flüssigen Beschaffenheit. Das Wasser veränderte sich irgendwie. Es erschien schwerer und war einheitlich graugrün. Ich konnte die einzelnen Wellen wahrnehmen; sie zeichneten sich außerordentlich scharf ab. Und dann hatte ich plötzlich das Gefühl, nicht mehr eine fließende Wassermasse, sondern eine Abbildung des Wassers anzuschauen. Vor meinen Augen ,war ein eingefrorener Ausschnitt des fließenden Wassers. Die Wellen waren unbeweglich. Ich konnte jede einzeln sehen. Dann begannen sie grünlich zu phosphorisieren und eine Art grünlichen Nebel auszuscheiden. Der Nebel dehnte sich in Wellenbewegungen aus, und dabei wurde die grüne Farbe immer leuchtender, bis sie eine blendende Strahlung war, die alles überzog.
Ich weiß nicht, wie lange ich beim Bewässerungsgraben blieb. Don Juan störte mich nicht. Ich war ganz in das grüne Leuchten des Nebels versunken. Ich konnte ihn um mich herum spüren, er streichelte mich. Ich hatte keine Gedanken, keine Gefühle. Alles, was ich spürte, war eine ruhige Bewußtheit, das Bewußtsein eines strahlenden, tröstlichen Grüns.
Meine nächsten Wahrnehmungen
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