Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Punkt irgendwo zwischen den Blättern deines Notizbuchs, und trotzdem wird er mit unwiderstehlicher Macht in dich hineinfahren und bewirken, daß du dich ausdehnst. Er wird dich flach machen und dich über den Himmel und die Erde und darüber hinaus ausdehnen lassen. Und du wirst sein wie ein Nebel aus feinen Kristallen, die sich bewegen und fortbewegen.« Ich war von dieser Beschreibung meines Todes sehr beeindruckt. Ich hatte erwartet, etwas ganz anderes zu hören. Lange Zeit konnte ich nichts sagen. »Der Tod tritt durch den Bauch in dich ein«, fuhr er fort. »Direkt durch die Öffnung des Willens. Diese Stelle ist der wichtigste und empfindlichste Teil des Menschen. Es ist die Stelle des Willens und auch die Stelle, durch die wir alle sterben. Das weiß ich, weil mein Verbündeter mich bis in dieses Stadium geführt hat. Ein Zauberer steuert seinen Willen, indem er dem Tod erlaubt, von ihm Besitz zu ergreifen, und wenn er dann flach ist und sich auszudehnen beginnt, dann übernimmt sein untadeliger Wille die Herrschaft und fügt den Nebel wieder zu einem Menschen zusammen.« Don Juan machte eine eigenartige Gebärde. Er öffnete die Hände wie Fächer, hob sie auf die Höhe seiner Ellbogen und drehte sie, bis die Daumen seine Seiten berührten, und dann führte er sie langsam in der Mitte seines Körpers über dem Nabel zusammen. Dort hielt er sie einen Moment. Seine Arme zitterten vor Anstrengung. Dann führte er sie hinauf, bis die Spitzen seiner Mittelfinger seine Stirn berührten, und dann zog er sie wieder in die alte Stellung in der Mitte seines Körpers zurück. Es war eine gewaltige Geste. Don Juan hatte sie mit so viel Kraft und Schönheit ausgeführt, daß ich wie gebannt war. »Es ist sein Wille, der den Zauberer wieder zusammensetzt«, sagte er, »aber wenn das Alter ihn schwächt, schwindet sein Wille, und dann kommt unvermeidlich der Augenblick, da er nicht mehr Herr seines Willens ist. Dann hat er nichts, womit er der leisen Kraft seines Todes Widerstand leisten kann, und sein Leben wird, wie das Leben seiner Mitmenschen, ein sich ausdehnender Nebel, der seine Grenzen überschreitet.« Don Juan warf mir einen Blick zu und stand auf. Ich zitterte. »Jetzt kannst du in die Büsche gehen«, sagte er. »Es ist Nachmittag.«
Ich mußte hinaus, aber ich wagte es nicht. Ich war vielleicht eher nervös als ängstlich. Immerhin fürchtete ich mich nicht mehr vor dem Verbündeten. Don Juan meinte, es sei gleichgültig, wie ich mich fühlte, solange ich nur »fest« sei. Er versicherte mir, daß ich in bester Verfassung sei und ohne Gefahr ins Gebüsch gehen konnte, solange ich mich nicht dem Wasser näherte. »Und noch etwas«, sagte er. »Ich muß dich noch einmal abwaschen, also bleib dem Wasser fern.« Später wollte er, daß ich ihn in die nahe gelegene Stadt fuhr. Er meinte, fahren sei eine willkommene Abwechslung für mich, weil ich immer noch unsicher sei. Der Gedanke, daß ein Zauberer tatsächlich mit seinem Tod spielte, ließ mich allerdings schaudern.
»Ein Zauberer zu sein, ist eine furchtbare Bürde«, beteuerte er. »Ich sagte dir ja, daß es viel besser ist, wenn man sehen lernt. Ein Sehender ist unbeschränkt. Im Vergleich zu ihm ist der Zauberer arm dran.«
»Was ist Zauberei, Don Juan?«
Er warf mir einen langen Blick zu und schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Zauberei ist die Einwirkung des Willens auf einen Schlüsselpunkt. Zauberei ist Beeinflussung. Ein Zauberer sucht und findet den Schlüsselpunkt von allem, was er beeinflussen will, und dann wirkt er mit seinem Willen darauf ein. Ein Zauberer muß nicht sehen, um ein Zauberer zu sein, alles was er können muß, ist, seinen Willen einsetzen.« Ich bat ihn, mir zu erklären, was er unter einem Schlüsselpunkt verstand. Er dachte kurz nach und sagte dann, er wisse, was mein Auto sei.
»Zweifellos ist es eine Maschine«, sagte ich. »Ich meine, dein Auto, das sind die Zündkerzen. Das ist für mich der Schlüsselpunkt. Ich kann meinen Willen darauf ansetzen, und dann wird dein Auto nicht funktionieren.« Don Juan setzte sich in mein Auto. Er gab mir ein Zeichen, dasselbe zu tun, während er es sich auf dem Sitz bequem machte.
»Paß auf, was ich tun werde«, sagte er. »Ich bin eine Krähe, also plustere ich zuerst mein Gefieder.«
Er zitterte am ganzen Körper. Seine Bewegungen erinnerten mich an einen Spatzen, der sein Gefieder in einer Pfütze netzt. Er senkte den Kopf wie ein Vogel, der den Schnabel ins Wasser
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