Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
hätte, eine Zauberin, die sich in eine Amsel verwandeln konnte und die versucht hatte, ihn zu töten. »Sobald ich wieder gehen kann, werde ich dir zeigen, wer diese Frau ist«, sagte Don Juan. »Du mußt wissen, wer sie ist.«
»Warum will sie dich töten?«
Er zuckte ungeduldig die Schultern und weigerte sich zu sprechen.
Zehn Tage später besuchte ich ihn und fand ihn gesund und munter vor. Er ließ seinen Knöchel kreisen, um mir zu zeigen, daß er in Ordnung war, und führte diese schnelle Heilung auf die Wirkung des Gipsverbandes zurück, den er sich angelegt hatte.
»Es ist gut, daß du da bist«, sagte er. »Heute werde ich dich auf einen kleinen Ausflug mitnehmen.«
Dann hieß er mich, in eine verlassene Gegend zu fahren. Dort hielten wir an. Don Juan streckte die Beine aus und machte es sich auf dem Sitz bequem, als wolle er ein Nickerchen halten. Er sagte, ich solle mich entspannen und ganz ruhig bleiben. Er meinte, wir müßten uns bis zum Einbruch der Nacht so unauffällig wie möglich verhalten, denn der Nachmittag sei eine sehr gefährliche Zeit für das Geschäft, das wir vorhatten. »Was für ein Geschäft haben wir vor?« fragte ich. »Wir werden la Catalina aufspießen«, sagte er. Als es begann, dunkel zu werden, stiegen wir aus dem Wagen und gingen sehr langsam und geräuschlos in den Wüsten-Chaparral.
Von der Stelle, wo wir angehalten hatten, konnte ich die schwarze Silhouette der Hügel auf beiden Seiten erkennen. Wir befanden uns in einem flachen, ziemlich breiten Canyon. Don Juan gab mir ausführliche Anweisungen, wie ich mich im Gebüsch verbergen sollte und zeigte mir, wie ich »Wache« sitzen sollte, wie er es nannte. Er befahl mir, das rechte Bein unter dem linken Schenkel einzuschlagen und das linke Bein in hockender Stellung zu halten. Er sagte, das untergeschlagene Bein diene als Feder, um nötigenfalls sehr schnell aufstehen zu können. Dann sagte er mir, ich solle mich nach Westen wenden, denn in dieser Richtung lag das Haus der Frau. Er setzte sich rechts neben mich und flüsterte mir zu, ich solle die Augen auf den Boden richten und darauf warten, daß ein Windstoß die Büsche kräuselt. Sobald sich die Büsche, auf die ich den Blick gerichtet hatte, kräuseln würden, sollte ich aufschauen und würde die Zauberin in all ihrer »wunderbaren bösen Pracht« sehen. Don Juan verwandte tatsächlich diese Worte. Als ich ihn bat, mir zu erklären, was er meinte, sagte er, ich solle, wenn die Büsche sich kräuselten, einfach aufschauen, dann würde ich es selbst sehen; denn ein »Zauberer im Flug« sei so ein einmaliger Anblick, daß es dafür keine Erklärung gebe.
Der Wind wehte ziemlich stetig, und ich glaubte oft zu sehen, wie sich die Büsche kräuselten. Ich schaute jedesmal auf und war auf ein transzendentales Erlebnis gefaßt, aber ich sah nichts. Jedesmal, wenn der Wind in die Büsche blies, trat Don Juan heftig auf den Boden, wirbelte herum und bewegte seine Arme wie Peitschen. Die Kraft seiner Bewegungen war außerordentlich.
Nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen, die »Zauberin im Flug« zu sehen, war ich sicher, daß ich keinem transzendentalen Geschehnis beiwohnen würde, aber Don Juans Machtdemonstration war so bemerkenswert, daß ich nichts dagegen hatte, die Nacht dort zu verbringen.
Bei Tagesanbruch setzte sich Don Juan neben mich. Er schien völlig erschöpft. Er konnte sich kaum bewegen. Er legte sich auf den Rücken und murmelte, es sei ihm nicht gelungen, »die Frau aufzuspießen«. Diese Bemerkung befremdete mich sehr; er wiederholte sie mehrmals, und jedesmal wurde seine Stimme niedergeschlagener und verzweifelter. Eine ungewohnte Angst überkam mich. Ich konnte leicht meine Gefühle in Don Juans Stimmung hineinprojizieren. Mehrere Monate äußerte sich Don Juan nicht über den Zwischenfall oder die Frau. Ich glaubte, er hätte die ganze Angelegenheit entweder vergessen oder schon erledigt. Eines Tages aber traf ich ihn in sehr erregter Stimmung an, und in einer Art, die seiner normalen Ruhe völlig widersprach, sagte er mir, daß die Amsel in der vergangenen Nacht direkt vor ihm gestanden und ihn beinah berührt hatte und daß er nicht einmal aufgewacht sei. Die Kunst dieser Frau sei so groß, daß er ihre Gegenwart überhaupt nicht gespürt hatte. Er sagte, es sei sein Glück gewesen, daß er gerade rechtzeitig erwachte, um einen furchtbaren Kampf um sein Leben zu führen. Der Tonfall in Don Juans Stimme verlangte Anteilnahme, ja beinah
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