Eine Art von Zorn
vorwurfsvoll an.
»Jetzt wäre da noch das Privatsanatorium.«
»Das scheint mir unwahrscheinlich.«
»Es ist doch sicher nicht Ihr Ernst, Adèle und mich in die Sache zu verwickeln?«
»Es ist mein Ernst.«
»Schön unfair, nicht wahr? Was kriegen Sie dafür? Ein Lob vielleicht? Eine kleine Prämie? Denken Sie doch einmal, was ich dabei verliere.«
»Sie verlieren nur Ihren guten Ruf in dieser Gegend, und der steht Ihnen ohnehin nicht zu. Und Sie werden nur ein bißchen aus Ihrer Ruhe geschreckt.«
» Nur! Großer Gott, Mann …« Er unterbrach sich und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: »Hören Sie, Maas, ich glaube nicht, daß Ihnen das Ganze mehr Spaß macht als mir. Ja, ich weiß sogar sehr gut, daß es Ihnen nicht den geringsten Spaß macht. Warum geben Sie nicht auf?«
»Haben Sie schon einmal einem Ihrer Gimpel eine Chance gegeben, Mr. Sanger?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Es hat keinen Sinn, Maas. Sie sind nicht der zähe, harte Typ. Sie sind Europäer. In Wirklichkeit sind Sie gar nicht so, wie Sie tun.«
»Sie scheinen mich ja gut zu kennen.«
Erstaunt blickte er auf. »Natürlich kenne ich Sie. Was hatten Sie denn geglaubt? Ich habe die halbe Nacht mit Paris telefoniert, um alles über Sie in Erfahrung zu bringen.«
»Ich verstehe. In meinem Privatleben geschnüffelt.«
Er schüttelte wieder den Kopf. »Sie haben keins. Sie haben Freunde, Leute, denen leid tut, was mit Ihnen passiert ist, aber Sie haben kein Privatleben, jedenfalls nicht das, was ich darunter verstehe. Vier Telefone hin, vier her, das genügte.«
Das gefiel mir nicht; das gefiel mir ganz und gar nicht; aber ich wußte nichts zu entgegnen.
»Natürlich weiß ich nicht alles«, fuhr er fort. »Dazu hat die Zeit nicht gereicht.«
»Das tut mir leid.«
Er ignorierte meine Ironie. »Natürlich«, sagte er, »Sie hatten keine leichte Kindheit – die Eltern bei einem Bombenangriff auf Rotterdam umgekommen, Evakuierung nach England, Kriegswaise und all das – aber so klein waren Sie auch nicht mehr, und Sie hatten mehr Glück als andere. Sie hatten den Londoner Geschäftsfreund Ihres Vaters, der sich um Sie kümmerte. Sie besuchten eine gute Schule. Und nach dem Krieg erbten Sie das Vermögen Ihres Vaters. Vielleicht war es kein Vermögen, aber für einen Universitätsstudenten doch eine hübsche Summe. Was also ging schief?«
»Ich bin sicher, daß es sich um eine rhetorische Frage handelt.«
»Eigentlich nicht. Natürlich weiß ich, wie Ihnen das Geld zwischen den Fingern zerrann. Was mich erstaunt, ist der Selbstmordversuch.«
Ich sagte nichts. Er nahm einen Schluck von seinem Campari-Soda und fuhr fort: »Ich kann sehr wohl verstehen, daß Sie niedergeschlagen waren. Der Mißerfolg der Zeitschrift wäre ein ausreichender Grund. Aber wie ich hörte, war dieser Mißerfolg keine Schande. Die Zeitschrift hatte einen succès d’estime , und zwar bei Leuten, die zählen. Sie wurde sogar bei Versammlungen der Vereinten Nationen zitiert. Der Mißerfolg rührte doch nur daher, daß Sie ihr Niveau nicht senken wollten. Ihr Kapital reichte nicht aus für Ihre Unverblümtheit. Als Teilhaber hätten Sie wissen müssen, daß experimentelle Zeitschriften sehr gewagte Unternehmen sind. Im übrigen sind Sie jung und begabt und haben Freunde. Der Bankrott hat Ihrem guten Ruf nicht geschadet. Warum also der Selbstmordversuch?«
Was konnte ich ihm darauf erwidern? Das ist einfach, Mr. Sanger. Es war nicht nur die Zeitschrift. Ausgerechnet an diesem Tag kam ich früher als sonst nach Haus und fand die Frau, mit der ich zusammenlebte, mit einem anderen Mann in meinem Bett. Ich versuchte, ihn zu töten, mußte aber feststellen, daß ich dazu nicht fähig war. Er aber schlug mich zusammen. Drei Mißerfolge an ein und demselben Tag waren zuviel. Da kam es auf einen vierten auch nicht mehr an. Es würde keine ehrliche Antwort sein, aber einen Augenblick lang würde sie sich so anhören.
Dann jedoch würde die unvermeidliche Frage kommen: Es hat sicher viele Menschen gegeben, die schlimmere Demütigungen hinnehmen mußten, ohne daß sie versucht hätten, sich zu töten. Warum konnten Sie das nicht schlucken?
Darauf gab es zwei höfliche Antworten; die eine, die mildere, eingekleidet in die aseptische Sprache der Psychiatrie, die andere in der Sprache des Moralisten. Meine eigene Antwort hätte gelautet: Scheren Sie sich zum Teufel.
Ich sagte: »Ich glaube nicht, daß ich mich über diese Angelegenheit mit Ihnen unterhalten möchte, Mr.
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