Eine Art von Zorn
Sanger.«
Er nickte verständnisvoll. »Ich kannte einmal einen Mann, der sich zu erschießen versuchte. Er war ein bißchen betrunken und wußte zudem mit Revolvern überhaupt nicht umzugehen. Folglich verriß er den Schuß und traf daneben. Er war sehr belämmert und sprach mit niemandem darüber. Das Erlebnis muß eine Katharsis bewirkt haben, denn er versuchte es nie wieder. Er lebte noch zehn Jahre und starb dann bei einem Flugzeugunglück.«
Das Essen wurde serviert, und er schwieg, bis die Kellner wieder gegangen waren, dann setzte er seine Attacke fort.
»Haben Sie jemals daran gedacht, Ihre Zeitschrift neu herauszugeben?«
»Sehr oft.«
»Aber das würde natürlich eine Menge Geld verschlingen.«
»Und nach wie vor sehr riskant sein.«
»Sicher weniger als damals. Schließlich müssen Sie doch aus Ihrem ersten Mißerfolg eine Menge gelernt haben. Sie würden die gleichen Fehler kein zweites Mal machen.«
Mich begann das Ganze außerordentlich zu ermüden. »An Ihrer Stelle würde ich mich ans Immobiliengeschäft halten, Mr. Sanger«, sagte ich. »Das ist bedeutend sicherer als ein Verlag.«
Aber er ließ sich nicht davon abbringen. »Glauben Sie?« Er lachte vergnügt. » Nun gut, vielleicht haben Sie recht. Ich gebe zu, daß ich Backsteine und Mörtel gern mag, und Grund und Boden sogar noch mehr. Greifbare Aktiven. Aber ab und zu spekuliert man ganz gern. « Er sah mir in die Augen. »Und die Spekulation wird sehr attraktiv, wenn man dabei auch noch seinen schlechten Ruf loswerden kann.«
Meine Neugier war plötzlich erwacht. »Wissen Sie überhaupt, um welche Summen es sich dabei handelt?« fragte ich.
»Ich kenne die Höhe des Kapitals, mit dem Sie das erstemal begonnen haben. Seit der Zeit sind die Kosten gestiegen. Folglich würden Sie jetzt mehr brauchen. So um die fünfzigtausend Dollar, würde ich sagen.«
Ich antwortete nicht gleich. Wenn er es ernst meinte, und es sah beinahe so aus, dann mußte er entweder sehr viel reicher sein, als ich angenommen hatte, oder sehr viel verzweifelter. Wenn es Verzweiflung war, mußte mehr auf dem Spiel stehen als ein beschauliches Leben und ein guter Ruf in der Nachbarschaft. Vielleicht hatte er sich doch zu sehr auf den Schutz seines Pseudonyms verlassen. Vielleicht würde die Entlarvung von Chase als Sanger diesen ins Zuchthaus bringen.
Er beobachtete mich gespannt. Ich konnte die Spannung beinahe spüren. Er war ein ausgekochter Gauner, das stand fest. Mit Gaunern hat man in der Regel kein Mitleid. Aber er tat mir leid, denn ich finde es immer traurig, wenn sich Erfolg, selbst unrechtmäßig erlangter materieller Erfolg, in Mißerfolg verkehrt. Zweifellos hörte er, wie seine Stunde schlug.
Ich seufzte. »Es ist verlockend, Mr. Sanger. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie verlockend. Aber Sie sollten sich lieber über die Lage im klaren sein. Ich kann nicht viel machen. Die Leute in Paris wissen, daß es eine Story geben wird. Das habe ich ihnen versprochen. Wenn es nicht die Lucia-Bernardi-Story ist, wird es sonst eine Story sein. Deshalb …«
Er unterbrach mich schnell. »Wissen die auch schon, um welche Story es sich handelt, wissen sie schon die Einzelheiten über mich?«
»Noch nicht.«
»Nun, dann …«
»Mr. Sanger, wenn ich nichts abliefere, werden sie erraten, was passiert ist, und in wenigen Stunden wird ein anderer hier sein. Sie werden Privatflugzeuge mieten, sie werden den ganzen Ort umpflügen, um die Story zu bekommen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich den Lauf der Dinge nicht hemmen, jetzt nicht mehr.«
»Auch nicht, wenn …«
»Sie würden Ihr Geld verschwenden, Mr. Sanger. Vielleicht ist es ein Trost für Sie, wenn ich Ihnen folgendes sage. Die Tatsache, daß ich der Geschichte nachgehe, bedeutet nicht notwendigerweise, daß sie gedruckt wird. Die Redaktion könnte der Meinung sein, daß die Arbil-Affäre nicht mehr aktuell genug ist, und daß auch das neue Material nicht genug hergibt, um sie wieder aufzurollen. Vielleicht – vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht.«
Er klammerte sich an diesen Strohhalm. »Wer wird das entscheiden? Ihre Leute in Paris?«
Ich stellte mir vor, wie er Sy sein Fünfzigtausend-Dollar-Angebot machte, und ich fragte mich, ob ich Sy gut genug kannte, um seine Reaktion voraussagen zu können.
»Nein«, erwiderte ich, »unsere Leute in New York.«
Nachdenklich starrte er einen Augenblick lang vor sich hin, dann bekam sein Mund einen störrischen Ausdruck. »Sie werden achtgeben müssen,
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