Eine begehrenswerte Lady
schüttelte den Kopf.
»Nicht wenn du denkst, dass sie kommen, um dich wie eine Jahrmarktsattraktion zu bestaunen.« Sophia lachte über Gillians verständnislose Miene, erbarmte sich dann aber ihrer. »Luc, meine Liebe. Sie wollen dich kennenlernen wegen Luc.«
Gillian starrte sie mit offenem Mund an.
»Aber was«, gelang es ihr schließlich zu fragen, »hat der denn damit zu tun?«
Sophia blickte auf den Faltenwurf ihres Kaschmirkleides und lächelte.
»Ich vermute, dass er irgendetwas gesagt hat, was sie zu der Annahme verleitet, er habe mehr als ein flüchtiges Interesse an dir. Und jetzt wollen sie selbst sehen, was für eine Frau du bist.« Sophia erhob sich und erklärte sachlich: »Und natürlich, um sich zu vergewissern, dass er nicht im Begriff steht, sich mit einer Mörderin einzulassen.«
Nach Sophias verblüffender Erklärung fiel es Gillian schwer, zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen. Es war völlig lächerlich zu glauben, Luc habe irgendein Interesse an ihr, das das eines jeden gesunden Mannes an der nächstbesten Frau unter vierzig überstieg. Sie schnaubte. Er hatte sie geküsst, und sie hatte den Kuss erwidert, aber das war alles gewesen. Warum, fragte eine innere Stimme hartnäckig, träumst du dann von ihm? Warum wälzt du dich jede Nacht von der einen auf die andere Seite und verzehrst dich danach, seinen Mund noch einmal auf deinem zu spüren? Warum, fragte die lästige Stimme weiter, ist er ständig in deinen Gedanken?
Was den Punkt betraf, von Lady Joslyn und ihrer Großtante für eine Mörderin gehalten zu werden, so wollte Gillian gar nicht darüber nachdenken, was sie davon hielt. Sie wusste es ohnehin schon. Es war erniedrigend und ärgerte sie. Und mehr noch, weil sie sich nicht verteidigen konnte, weil niemand sie direkt und offen zu ihrer Beteiligung an dem Mord fragen würde. Und falls jemand doch so dreist wäre, würde wahrscheinlich alles, was sie zu ihrer Verteidigung vorbringen konnte, als Lüge abgetan. Es war eine Schlacht, die sie nicht gewinnen konnte.
Am Montagmorgen erwachte Gillian verstimmt und niedergeschlagen. Sophia, der auffiel, dass sie nicht so fröhlich und unbekümmert wie sonst war, als sie zum Frühstück nach unten kam, schlug vor:
»Warum reiten wir heute nicht aus? Die Sonne scheint – wenigstens immer mal wieder –, und auch wenn da ein paar Wolken zu sehen sind und ein leichter Wind weht, ist es kein unfreundlicher Tag. Was hältst du davon? Sollen wir uns Pferde satteln lassen und uns auf einen Erkundungsritt begeben?«
»Wenn du das gerne möchtest«, sagte Gillian gleichgültig und stocherte ohne Appetit in ihrem Rührei herum.
Als sie wieder nach oben gegangen war und sich umgezogen hatte, hatte sich auch ihre Stimmung aufgehellt. Sie betrachtete sich im Spiegel und entschied, dass ihr altes Reitkostüm aus bernsteinfarbenem Samt mit der schwarzen Litze nicht ohne Chic war. Es gefiel ihr, wie die Jacke an der Taille schmaler wurde, und der Besatz aus schwarzer Litze an Manschetten, Kragen und auf der Vorderseite verlieh dem Kleidungsstück einen militärischen Anstrich. Der Wasserfall aus Leinenspitze auf ihrer Brust brauchte noch etwas, irgendeine Nadel, die den Stoff festhielt, damit er beim Reiten nicht dauernd verrutschte oder ihr ins Gesicht schlug. Sie schaute in ihr Schmuckkästchen; ihr Blick blieb an der Topasbrosche hängen. Warum eigentlich nicht? Sie würde gut zu dem Reitkostüm passen und außerdem fiel ihr wieder ein, weswegen sie sie behalten hatte. Von der Hoffnung getrieben, dass sie sich wirklich als Talisman gegen den Charme bestimmter Männer erweisen würde, befestigte sie sie fast trotzig in der Mitte der Spitze. Nachdem sie sich einen kleinen rostbraunen Hut mit einer langen, grün gefärbten Feder aufgesetzt hatte, verließ sie ihr Zimmer. Sie traf Sophia im Foyer und stellte überrascht fest, dass Stanley in Reithose und Stiefeln neben ihr stand.
Er lächelte unsicher.
»Wenn du keine Einwände hast, möchte ich mich selbst zum Ausritt mit einladen.«
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Gillian das als aufdringlich empfunden hätte und als weiteres Zeichen von Stanleys anmaßendem Verhalten, aber angesichts ihrer veränderten Beziehung akzeptierte sie es jetzt als das, was es war: schlicht das Angebot, sie und Sophia zu begleiten. Daher lächelte sie ihn an.
»Warum sollte ich die Begleitung eines gut aussehenden Mannes ablehnen?«
Ein paar Minuten später saßen sie auf ihren Pferden und ritten aus dem Hof
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