Eine begehrenswerte Lady
strich das zusammengefaltete Blatt glatt, das in dem Umschlag gesteckt hatte. Während sie das tat, fiel ein weiteres, kleineres Stück Papier heraus und segelte zu Boden.
Sie bückte sich, hob es auf, und ihr Herz schlug ihr bis in den Hals, als sie erkannte, was sie in der Hand hielt. Einer der Schuldscheine, die Charles Winthrop ausgestellt hatte.
Benommen starrte sie das Blatt eine Weile lang an, ihr Blick glitt immer wieder über Charles’ kühne Unterschrift. Sie riss sich zusammen und legte den Schuldschein neben sich aufs Bett, dann las sie die Nachricht, die bei dem Schuldschein gelegen hatte.
Sie haben etwas, was ich will, Charles’ letztes Geschenk an Sie. Wie Sie an der Gabe erkennen können, die ich beilege, besitze ich etwas, was Sie zweifellos gerne hätten.
Ein Stück südlich des Dorfes steht eine verlassene Fischerhütte, ungefähr eine halbe Meile nach der Weggabelung der Küstenstraße. Kommen Sie zu einem Treffen mit mir am Dienstagnachmittag um vier Uhr allein dorthin. Erzählen Sie niemandem davon.
Es gab keine Unterschrift. Sie las die Zeilen und las sie noch einmal, und eine vage Hoffnung regte sich in ihrer Brust; sie wollte so gerne glauben, dass sie endlich Charles’ Schuldscheine bekommen konnte. Und Luc würde nie davon erfahren müssen … Wegen Silas’ Großzügigkeit hatte sie aufatmen können, denn sie wäre imstande, die Schuld zu tilgen, falls ihr die Schuldscheine zur Zahlung präsentiert würden. Wenn sie daran dachte, dass Luc von ihnen erfuhr, wand sie sich innerlich. Sie hätte alles getan, um zu verhindern, dass das geschah.
Ein Teil von ihr wusste, dass es albern von ihr war, aber die Schuldscheine hingen nun einmal untrennbar mit Charles’ hässlicher Abmachung mit Winthrop zusammen und dadurch auch mit dem Mord an Charles in jener Nacht – alles, was irgendwie mit dieser Nacht zusammenhing, füllte sie mit Abscheu und Furcht. Dass Canfield die Schuldscheine gehabt hatte, hatte ihr deutlich vor Augen geführt, welche Gefahr von ihnen ausging, und von dem Wissen, dass sie nun jemand anders hatte, wurde ihr schlecht. Und weckte Angst in ihr. Sie starrte auf den Brief und wollte glauben, dass sich ihr endlich die Gelegenheit bot, die Schuldscheine an sich zu nehmen, aber sie traute ihrem Glück nicht.
Charles’ letztes Geschenk … einen Moment lang konnte sie sich nicht vorstellen, was der Verfasser meinte, und runzelte die Stirn. Charles’ letztes Geschenk an sie … Sie versteifte sich. Die Brosche! Die Brosche aus Diamanten und Topasen, die sie das erste Mal in der Nacht getragen hatte, in der Charles ermordet wurde. Warum, fragte sie sich, sollte jemand willens sein, ein kleines Vermögen in Schuldscheinen gegen eine Brosche einzutauschen, wie man sie für wesentlich weniger Geld bei jedem geschickteren Juwelier anfertigen lassen konnte?
Sie stand auf, ging zu ihren Kleidern und suchte, bis sie ihr Reitkostüm fand, an dem die Brosche immer noch befestigt war. Sie löste sie und durchquerte den Raum, setzte sich wieder aufs Bett und starrte auf die glitzernden Steine. Auch eine genauere Untersuchung brachte nichts Besonderes an dem Schmuckstück ans Tageslicht. An der Anordnung der unbestritten kostbaren Juwelen war nichts Besonderes oder in irgendeiner Weise Auffälliges, was sie erkennen konnte, und es gab auch kein Geheimfach, das ihr die Antwort auf die Frage liefern konnte, warum die Brosche dem Verfasser der Nachricht so wichtig war.
Ihr hatte nie viel an der Brosche gelegen, aber sie fand, dass es ein hübsches Schmuckstück war und dass es den meisten Leuten gefallen würde. Es war kostbar, aber nicht annähernd so viel wert wie die Schuldscheine von Charles. Also warum war jemand bereit, die einen für die andere herzugeben? Warum bat er nicht einfach um ein Gespräch mit ihr und bot ihr an, die Wechsel gegen die Brosche zu tauschen? Warum wollte er sie allein treffen? Und die Warnung, niemandem etwas zu sagen, beunruhigte sie am meisten von allem. Es war unheimlich und verriet ihr darüber hinaus, dass es kein einfacher Austausch werden würde. Das Gefühl drohender Gefahr wurde übermächtig.
Sie hörte die Schritte von jemandem, der den Salon durchquerte, sprang vom Bett auf und blickte sich verzweifelt nach einem Versteck für die Brosche und die Papiere um. Warum sie den Drang verspürte, sie zu verstecken, wusste sie nicht. Was auch immer der Grund war, es war nicht viel Zeit. Sie hörte, wie Luc sie rief, fast im selben Moment, in dem die
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