Eine begehrenswerte Lady
ein. »Allerdings …« Sie blickte Emily an. »Der Grund, weswegen du nie etwas davon gehört hast, liegt vermutlich darin begründet, dass es vor mehr als vierzig Jahren geschehen ist – lange vor deiner Geburt. Nach einer so langen Zeit erinnern sich nicht mehr viele Leute an den Skandal.«
»Welchen Skandal?«, wollte Luc wissen.
»Erst muss ich etwas über die früheren Besitzer von High Tower erzählen«, begann Cornelia. »Vor ungefähr vierzig Jahren gehörte High Tower wie schon seit Generationen einer Familie namens Bramhall. Die Familie war angesehen und genoss einen ausgezeichneten Ruf in der Gegend. Damals waren Robert Bramhall, selbst ein Einzelkind, und seine Gattin Mary die Besitzer von High Tower. Sie waren viele Jahre lang kinderlos, und alle haben sich für die beiden gefreut, als Mary schließlich einen Jungen – Edward – auf die Welt brachte. Robert war überglücklich, wie Mary natürlich auch.« Sie kniff die Lippen zusammen. »Unseligerweise haben sie ihm alles erlaubt, ihm jeden Wunsch erfüllt, sodass Edward zu einem verzogenen, eigensinnigen jungen Mann heranwuchs – wild und zügellos, ein Junge, der von einer Klemme in die nächste geriet. Als er einundzwanzig war, sind seine Eltern beide gestorben, sodass er Herr nicht nur über High Tower wurde, sondern auch über ein ansehnliches Vermögen.« Sie seufzte. »Er hat auf niemanden gehört, der versucht hat, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen oder ihn auf den rechten Weg zu bringen. Er hat rücksichtslos getrunken und gespielt. Vier oder fünf Jahre später hat er sich eines Abends mit Silas Ordway an einen Spieltisch gesetzt. Als der Abend vorüber war, besaß Ordway High Tower – mit allem, was dazugehörte. Edward war praktisch mittellos.«
Luc rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl umher. Was geschehen war, war bedauerlich, aber da er selbst schon oft hohe Einsätze gewonnen hatte und natürlich wusste, dass beträchtliche Vermögenswerte mit einer Karte den Besitzer wechseln konnten, fand er nicht, dass man Ordway die Schuld für Bramhalls Dummheit geben konnte. Spiele und zahle war die Regel, der sich alle unterwarfen, die an einem Spieltisch Platz nahmen.
»Und das ist der Skandal? Dass Ordway High Tower von Bramhall in einem Kartenspiel gewonnen hat?«, fragte Luc. »Ordway kann man keinen Vorwurf daraus machen, dass er gewonnen hat.« Verteidigend fügte er hinzu: »Es war nicht Ordways Schuld, dass dieser Edward ein Narr war.«
Cornelia nickte.
»Das stimmt natürlich. Dass High Tower durch Edwards Leichtsinn verloren ging, hat niemanden überrascht. Es war etwas, womit alle früher oder später gerechnet hatten. Was hingegen niemand erwartet hatte, war, dass er sich umbringen würde, indem er sich von dem Turm stürzte, der dem Anwesen seinen Namen gegeben hat – an dem Tag, an dem Ordway gekommen ist, um High Tower zu übernehmen.«
Emily schnappte nach Luft und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
Luc wich zurück, er war entsetzt.
» Mon Dieu! Wie furchtbar.«
»Allerdings«, stimmte ihm Cornelia zu. »Dass Edward High Tower verloren hatte, war an und für sich schon ein Skandal, aber es war nicht das erste und bestimmt auch nicht das letzte Mal, dass ein leichtfertiger junger Mann das Heim seiner Familie am Spieltisch verloren hatte. Aber dass er sich auf so schreckliche Weise umgebracht hat …« Sie zuckte die Achseln. »Nun, man kann es sich vorstellen. Und auch wenn es nicht Ordways Schuld war, gab es doch genügend Leute in der Gegend, die ihn für Bramhalls Tod verantwortlich gemacht haben. Und manch einer findet wohl auch, dass Ordway seinen Neffen und seine Nichte verdient hat.«
»Und du?«, fragte Luc.
Cornelia schüttelte den Kopf.
»Nein. Wenn man schon so lange lebt wie ich, erkennt man, dass manchen Leuten einfach nicht zu helfen ist; dass sie vor die Hunde gehen, auf welche Weise auch immer. Ich glaube, dass Edward so jemand war. Wenn nicht Ordway High Tower gewonnen hätte, dann ein anderer.«
Cornelias Worte vermochten den unangenehmen Nachgeschmack in seinem Mund nicht zu vertreiben, und da er den Appetit verloren hatte, schob Luc seinen Teller zur Seite und überlegte, dass er vermutlich nie wieder blutig gebratene Lende würde essen können. Oder sich an einen Spieltisch setzen. Er verzog das Gesicht. Wer war hier jetzt der Narr? Er bestritt seinen Lebensunterhalt mit Spielen.
»Warum hast du dich nach Gillian Dashwood erkundigt?«, fragte Emily, die eigentlich nur das
Weitere Kostenlose Bücher