Eine begehrenswerte Lady
beeindruckt oder den strahlend azurblauen Augen in dem schönen dunklen Gesicht. Da sie von ihm bereits eine schlechte Meinung hatte, erstaunte es sie, dass ihr Herz einen Satz machte, als er sich über ihre Hand beugte und ihr einen Kuss auf den Handrücken hauchte. Entsetzt über ihre Reaktion auf ihn verabscheute sie ihn nur noch mehr. Schlimmer noch, mit seinem schwarzen Haar, den blauen Augen und seiner Größe erinnerte er sie viel zu sehr an ihren ermordeten Ehemann, als dass sie irgendetwas anderes für ihn hätte empfinden können als Antipathie.
Aus den Briefen ihres Onkels den Sommer über und seiner häufigen Erwähnung seines neuen Freundes wusste sie eine Menge über ihn – und es war nur wenig darunter, was ihn in einem guten Licht dastehen ließ. Sie misstraute nicht nur seinen Motiven, sich mit einem älteren Mann anzufreunden, einem Mann, der alt genug war, sein Großvater zu sein, sondern betrachtete ihn auch mit einiger Verachtung wegen seiner Vorliebe für den Spieltisch – wovon Silas ihr in seinen Briefen ohne irgendwelche Hintergedanken berichtet hatte.
Luc lächelte beide Damen an, während er auf Silas’ Bemerkung über ihren ausgedehnten Aufenthalt einging und sich erkundigte:
»Ach, dann bleiben Sie also länger hier bei Ihrem Onkel?«
»Ja«, antwortete Gillian, die das spekulative Glitzern, das sie in seinen Augen sah, nicht sonderlich mochte. Sein Blick ruhte weiter auf ihrem Gesicht, weswegen sie das Gefühl hatte, als erwarte er von ihr mehr. Daher sagte sie: »Es ist ein Besuch, der schon viel zu lange aufgeschoben worden ist.«
Mrs. Easley lächelte Silas an.
»Der Zeitpunkt erweist sich zudem als glücklich gewählt«, erklärte sie ruhig. »Wir werden hier sein, wenn Onkel uns am dringendsten braucht, und wir werden ihm während seiner Genesung Gesellschaft leisten können.«
Luc hatte seinen Blick nicht von Gillians Gesicht gewandt, aber er nickte.
» Bon! Ich bin sicher, er freut sich, seine Familie um sich zu haben.« Er grinste Silas an und bemerkte halblaut, wobei er wieder zu Gillian sah: »Ihre Anwesenheit hier wird die Beanspruchung meiner Geldbörse mindern – er liebt das Glücksspiel, und ohne einen anderen Zeitvertreib, fürchte ich, würde er mich an den Bettelstab bringen.«
Silas lachte.
»Was für ein Unsinn. Mich nennt man schließlich nicht Lucifer wegen meines teuflischen Glückes an den Spieltischen.« Mit einem Lächeln zu Gillian erklärte er: »Er ist zu bescheiden. Glaub mir, er ist ein viel besserer Spieler, als ich es in meiner besten Zeit war, und der Himmel weiß, die liegt weit zurück.«
Ein Spieler, dachte sie bitter, genau wie Charles – und wie Charles benutzte er seinen Charme, um Unbedachte zu entwaffnen und zu übervorteilen. Nur hatte sich Luc Joslyn nicht wie Charles darauf verlegt, sich an dumme junge Mädchen heranzumachen, sondern er hatte sich einen einsamen alten Mann als Opfer auserkoren. Schuldgefühle erfassten sie. Sie war dafür verantwortlich, dass es so aussah, als sei Onkel Silas allein und als gäbe es niemanden, dem etwas an ihm lag – und der diese plötzliche Freundschaft hinterfragen würde. Obwohl sie und Sophie regelmäßig ihrem Onkel schrieben, waren sie nicht oft zu Besuch auf High Tower gewesen.
Wir hätten erkennen müssen, schalt sie sich im Geiste selbst , dass Briefe, egal, wie oft geschrieben und wie herzlich und liebevoll, nicht genug sind, und dass Onkel Silas seine Familie um sich braucht. Wenn ich nur meinen Stolz früher heruntergeschluckt hätte und seinen zahlreichen Einladungen gefolgt wäre, ja, schon längst mit Sophia zu einem unbegrenzten Besuch hergekommen wäre! Aber das hatte sie nicht getan, und ihr einziger Trost im Moment war, dass sie endlich hier waren. Sie blickte Joslyn unter gesenkten Lidern an, und ihr sank das Herz, als ihr die Vertrautheit der beiden Männer auffiel. Es war nicht zu übersehen, dass ihr Onkel den jüngeren Mann überaus schätzte. Ihre Lippen verzogen sich. »Lucifer« hatte den Älteren offenbar als leichtes Opfer identifiziert. Und das, schwor sie sich, würde sich ändern, und zwar sofort.
Mit höflicher Miene lächelte Gillian und nickte an den richtigen Stellen, aber während der Nachmittag in den Abend überging, überlegte sie angestrengt, jedoch ohne dass ihr Lächeln ins Wanken geriet, wie sie am besten einen derart charmanten und zugleich gefährlichen Räuber wie Luc Joslyn bei ihrem Onkel ausbooten konnte. Silas war ein gebildeter Mann, ein
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