Eine besondere Herzensangelegenheit
absolut unsichtbar machen musste? In gewisser Weise fiel ich dann ja auch auf – durch Unscheinbarkeit.
Zum mindestens hundertsten Mal kehrten meine Gedanken zu meinem Überfallopfer Sebastian zurück. Gut, er war im Bistro völlig in sein Weinbuch vertieft gewesen, aber wenn er nicht gerade gelesen hätte, hätte er mich dann überhaupt bemerkt, wenn ich nicht gerade wie eine ausgehungerte alte Jungfer mit Torschlusspanik über ihn hergefallen wäre?
Wahrscheinlich nicht, gestand ich mir ein, auch wenn mir das nicht wirklich gefiel.
Ich seufzte. Vielleicht wurde es Zeit, dass ich ein kleines bisschen an meinem Äußeren änderte. Ich musste mich ja nicht gleich komplett durchstylen, aber ein wenig aufhübschen konnte doch eigentlich nicht schaden.
Langsam reifte in mir ein Entschluss. Ich wollte endlich anfangen, etwas aus mir zu machen. Es würde mich ein wenig Überwindung kosten, aber es war die Anstrengung bestimmt wert.
Zur Generalprobe würde ich mich noch an diesem Abend in meinen sexy Fummel schmeißen und in einer Bar meine neue Wirkung auf Männer testen.
Und damit würde ich gleich ganz nebenbei Lilys Wochenaufgabe erfüllen.
Kapitel 10
Als ich am Abend in meine Wohnung zurückkam, war mein Trotz schon wieder verflogen, und damit auch die Sicherheit, Lilys Aufgabe erfüllen zu können. Am liebsten hätte ich noch eine Nacht darüber geschlafen, doch da schon Donnerstag war, hatte ich keine Möglichkeit mehr dazu.
Ratlos stand ich in dem Kleid vor dem Spiegel und betrachtete mich. Mit meiner Figur war ich eigentlich ganz zufrieden, auch wenn an der einen oder anderen Stelle die Rundung etwas kleiner hätte sein dürfen. Trotzdem kam ich mir merkwürdig vor. War das wirklich ich?
Ich machte ein paar unsicher Schritte. Nach der Arbeit hatte ich mir extra noch neue Schuhe mit für meine Verhältnisse lebensgefährlich hohen Absätzen zugelegt. Zum schwarzen Minikleid konnte ich ja schlecht Ballerinas oder Turnschuhe tragen.
»Jetzt hast du den Schwachsinn angefangen, jetzt ziehst du das auch durch«, befahl ich mir selbst. Ich zwang mich, an Karins Lästerattacke vom Vormittag zu denken. Der würde ich es schon zeigen!
Als ich mich dann auch noch mit genügend Eyeliner, Lippenstift und Wimperntusche angepinselt hatte (im vierten Versuch war ich endlich einigermaßen zufrieden mit meiner Malkunst), war ich zumindest physisch auf einen aufregenden Abend vorbereitet. Das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass ich auch psychisch dazu bereit war.
Ich warf noch einmal einen kritischen Blick in den Spiegel. Was ich sah, war gar nicht so schlecht – für andere. Mich selbst aber so zu sehen, war einfach zu ungewohnt.
»Du brauchst dringend einen Mutmacher«, raunte ich meinem Spiegelbild verschwörerisch zu. Und ich wusste auch schon, worauf ich zurückgreifen konnte. Ich hatte von meinem Geburtstag vor drei Monaten noch eine Flasche Prosecco im Kühlschrank, die dort ein einsames Dasein zwischen Milch, Joghurt und Gemüse fristete. Mit ein oder zwei Gläschen davon würde mir der nächste Schritt bestimmt um einiges leichter fallen.
Es wurden allerdings fünf Gläser daraus – randvoll, versteht sich – ehe ich mich endlich traute, meine sichere Wohnung zu verlassen.
Auf der Straße erwies sich die Kombination aus dem ziemlich schnell getrunkenen Alkohol und den ungewohnt hohen Absätzen als fatal. Mehr als einmal knickte ich um, und hätte ich nicht so dehnbare Bänder gehabt, hätte ich den Abend wahrscheinlich nicht in einer schicken Cocktailbar verbracht, sondern in der Notaufnahme des nächsten Krankenhauses.
Daher war ich tatsächlich erleichtert, als ich nach fast einer halben Stunde Fußweg endlich mein Ziel erreichte: die Cocktailbar Blue Moon , die erst vor Kurzem eröffnet hatte. Sie galt als besonders hip und stylish – und war damit einer der Läden, die ich normalerweise nie betreten hätte.
Bevor ich hineinging, warf ich einen Blick auf meine Uhr. Es war genau zwanzig Minuten nach neun. Das hieß also, dass ich die Bar keinesfalls vor zwanzig nach zehn verlassen durfte.
Ich holte noch ein paar Mal tief Luft, wie wir das in meinem Yoga-Kurs häufiger machten, und wagte dann den Sprung ins kalte Wasser. Dabei ist kalt noch milde ausgedrückt. Ich hatte eher das Gefühl, vom Dreimeterbrett direkt auf eine Eisfläche zu springen.
Im Blue Moon starrten mich alle an wie einen Elefanten im Baströckchen. Oder kam mir das nur so vor?
Ich sah noch einige andere Frauen in
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