Eine besondere Herzensangelegenheit
Glück schlief er noch. Er lag auf der Seite, mir zugewandt, und seine braunen Haare waren völlig zerzaust.
Die Ereignisse des Abends zuvor fielen mir wieder ein. Nachdem wir uns im Auto geküsst hatten, waren wir zusammen hoch in meine Wohnung gegangen. Obwohl, von gehen konnte man eigentlich nicht wirklich sprechen, eher von taumeln, küssen, stolpern und umarmen. Wir hatten einfach nicht voneinander lassen können. Schon im Treppenhaus hatten wir begonnen, uns gegenseitig auszuziehen.
Ich stöhnte leise auf. Hoffentlich war keiner meiner Nachbarn auf die Idee gekommen, aus dem Türspion zu sehen. Das Schauspiel, das wir einem neugierigen Beobachter geboten hätten, wäre mir mehr als peinlich gewesen.
Oben angekommen hatte ich es kaum geschafft, die Wohnungstür aufzuschließen, doch diesmal hatte es nicht am Alkohol gelegen. Wie nach unserem Abend im Blue Moon hatte mir Sebastian einfach die Schlüssel aus der Hand genommen. In der Wohnung hatten wir uns wie zwei Verhungernde aufeinandergestürzt. Später, bei der zweiten Runde, hatten wir es dann wesentlich sanfter und zärtlicher angehen lassen.
Das, was mich am meisten erschreckte, war aber die Zeit dazwischen gewesen: Eng aneinandergeschmiegt hatten wir einfach dagelegen, geredet und es genossen, mit dem anderen zusammen zu sein, seine Nähe zu spüren.
Ich merkte, dass Panik in mir aufstieg. Himmel, ich war im Begriff, mich ernsthaft zu verlieben. Nein, dachte ich, ich war schon längst verliebt.
Das war nicht gut. Das war gar nicht gut!
Ich sah noch einmal zu Sebastian, der immer noch fest schlief und nichts von meinem Gefühlschaos mitbekam. In diesem Augenblick war ich hin- und hergerissen, ob ich ihn einfach küssen oder ob ich flüchten sollte.
Ich entschied mich für Letzteres.
Nur war es gar nicht so einfach, sich nach einem One-Night-Stand aus dem Staub zu machen, wenn man sich zuhause befand. Da blieb nur eins übrig: frühe Überstunden. Ich würde zwar als Einzige um diese Zeit schon arbeiten, aber selbst das war tausend Mal besser, als hier zu sein.
Wie ein Dieb musste mich aus meiner eigenen Wohnung schleichen, ohne Sebastian aufzuwecken. Auf keinen Fall wollte ich mit ihm sprechen müssen, bevor ich mir selbst über meine Gefühle im Klaren war.
So leise wie möglich schlich ich ins Bad, duschte kurz und zog mir frische Sachen an. Ich war schon fast zur Tür raus, als mich doch der Anflug eines schlechten Gewissens überkam. Ich fragte mich, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn ich allein in Sebastians Wohnung aufwachen würde und er wäre einfach ohne ein Wort gegangen. Die Antwort war denkbar einfach: bescheiden.
Also schnappte ich mir einen Zettel und einen Kuli von meiner Kommode und schrieb eine kurze Nachricht:
Hallo Sebastian,
ich musste leider schon weg. Du kannst Dir gern einen Kaffee machen, und im Kühlschrank findest Du bestimmt etwas fürs Frühstück.
Isabelle
Kurz hatte ich noch mit dem Gedanken gespielt, fühl dich ganz wie zuhause hinzuzusetzen, es aber zum Glück nicht getan. Dieser Satz wäre viel zu missverständlich gewesen.
Sicherheitshalber las ich mir die zwei Sätze noch ein paar Mal durch, entschied aber, dass sie unverfänglich genug waren. Nichts deutete auf meine Gefühle hin, die ich einfach nicht in den Griff bekam.
Ich hinterließ die Nachricht gut sichtbar auf dem Küchentisch und verließ die Wohnung. Mit einem leisen Klicken fiel die Wohnungstür hinter mir ins Schloss.
Während ich die Treppe hinunterlief, musste ich wieder an den gestrigen Abend denken, als wir zu zweit eben diese Treppe küssend und kichernd hochgetaumelt waren. Und wieder überkam mich die Panik.
Nach der Trennung von Paul hatte ich mir geschworen, nur noch mit Männern ins Bett zu gehen, die mir absolut nichts bedeuteten. Das schien mir viel unkomplizierter zu sein als die ganzen Beziehungsgeschichten, die sowieso immer nur in Frust, Ärger und Enttäuschung endeten.
Leider hatte ich ziemlich schnell festgestellt, dass ich überhaupt nicht der Typ für unverfängliche One-Night-Stands war. Also war mein Liebesleben in den letzten Monaten ungefähr so aufregend gewesen wie das einer Klosterschülerin auf einer einsamen Insel. Bis jetzt.
»Das hast du ja wieder perfekt hingekriegt. Schon beim ersten Kerl schmeißt du sämtliche Vorsätze über Bord«, murmelte ich mir selbst zu.
Ich war froh, als sich die Haustür hinter mir schloss.
Am Abend zuvor hatte sich alles so gut angefühlt, so richtig . Aber
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