Eine betoerende Schoenheit
aus der Sklaverei meine Gefühle zu befreien. So sehr ich mich auch dagegen wehrte, ich stand weiter im Bann ihrer Schönheit. In den darauffolgenden Jahren sorgte ich dafür, dass sich unsere Wege nicht kreuzten.
Aber die Zeit war gekommen, meine Pflicht zu tun und zu heiraten. Ich war gezwungen, während der Saison in London zu sein. Je näher meine Heimkehr rückte, desto mehr wuchsen meine Zweifel. Mrs Easterbrooks Anziehungskraft auf mich war unverändert stark. Ich war nicht sicher, ob meine Prinzipien fest genug wären, meiner Fixierung zu widerstehen, wenn ich ihr wieder begegnete. Jahre des Widerstandes konnten durch eine einzige Begegnung zunichte gemacht werden.
Im Sanders Theatre war ich vollkommen verwirrt. Es gelang mir, den Hauptteil des Vortrags hinter mich zu bringen, aber während der Fragerunde verriet ich mich. Damals dachte ich, ich verliehe nur meiner Entschlossenheit Ausdruck, aber mir wurde schnell klar, dass ich eine große Indiskretion begangen hatte. Ich tröstete mich mit der Tatsache, dass ich eine halbe Welt von daheim entfernt war und meine amerikanischen Zuhörer nicht wissen würden, von wem ich gesprochen hatte. Das erwies sich, wie Sie ja wissen, als herbe Fehleinschätzung.
Seither hatte ich Anlass, meine Meinung über meine Frau zu überdenken. Ich habe sie ganz falsch beurteilt. Selbst wenn ich nicht wüsste, wie sie aussieht, fände ich sie nichtsdestoweniger schön. Ich …“
Die Tür zum Salon öffnete sich, und da stand die schönste Frau der Welt in einem sandsteinfarbenen Promenadenkleid. „Christian“, sagte sie, „ich weiß, ich war nicht …“
Sie sah Lady Avery und Lady Somersby und kniff die Augen zusammen. Ihr Tonfall wurde eisig. „Ich wusste nicht, dass wir zurzeit Besuch empfangen.“
Sie war durch und durch die hochmütige Herzogin.
„Sie kennen ja Mr Grant, einen der engen Freunde Seiner Gnaden aus Schultagen, nicht wahr, Eure Gnaden?“, fragte Lady Somersby.
„Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen.“
„Mr Grant ist zufällig der Neffe meines verstorbenen Mannes – ein großartiger junger Mann, der mir sehr nahe steht.“
Sie hob außerordentlich hochmütig eine Braue. „Ist er das?“
„Wissen Sie auch, was wir unlängst von Mr Grant gehört haben?“, fuhr Lady Somersby fort, in deren Augen es teuflisch glitzerte. „Dass der Herzog Sie seit zehn Jahren abgöttisch liebt, Madam. Angesichts der jüngsten Ereignisse bin ich der festen Überzeugung, dass er diese ganze Angelegenheit extra arrangiert hat, um Sie zu erobern.“
Lady Averys Teetasse klapperte. Christian war hin und her gerissen zwischen dem Drang, jemandem weh zu tun, und dumpfem Entsetzen. Hatte er das? War es darum die ganze Zeit gegangen? Sie zu zwingen, ihm Aufmerksamkeit zu schenken? Sie in seine Nähe zu bringen, ohne sich dazu herabzulassen, sie zu umwerben?
Er wollte widersprechen. Aber seine Zunge musste so angeschwollen sein, dass er nicht nur nichts sagen konnte, sondern dass sie ihm auch den Atem nahm. Er bekam keine Luft.
Seine Frau warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Dann wandte sie sich an Lady Somersby. „Erklären Sie sich.“
„Sie sind die Frau, die er immer begehrt hat. Indem er diesen Sturm entfesselt hat, brachte Seine Gnaden Sie ohne Schwierigkeiten in eine unangenehme, unhaltbare Position, Madam. Besser noch, er hat Sie dann auch noch aus diesem Dilemma gerettet, nicht wahr?“
„Brillant, meine Liebe, brillant“, murmelte Lady Avery. „Jetzt ergibt alles Sinn.“
„Ich hasse es, diese hübsche Selbstbeweihräucherungsorgie stören zu müssen“, sagte Venetia, „aber das ist völliger Nonsens. Kompletter Unsinn. Der Herzog hatte im Leben noch keinen Gedanken an mich verschwendet, ehe er mit Mr Townsend sprach … und seither auch nicht viele.“
„Bitte?“, schrien die Klatschtanten unisono.
„Mr Townsend war ein schrecklicher Ehemann, aber Seine Gnaden konnte das nicht wissen. Deshalb kann ich ihm keinen Vorwurf daraus machen, dass er Mr Townsend beim Wort nahm. Und warum hätte er, wenn man ihm eine direkte Frage stellte, nicht Mr Townsends Geschichte als abschreckendes Beispiel nehmen sollen? Schließlich trog der Schein ja tatsächlich.“ Sie holte tief Luft. „Jetzt kommen wir zu dem Teil der Gesichte, den Sie, Lady Avery, selbst hätten erschließen können, was Ihnen aber nicht gelang: Ich war an jenem Tag bei dem Vortrag.“
Lady Avery keuchte. „Sie scherzen, Madam.“
„Keineswegs. Erkundigen Sie sich.
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