Eine betoerende Schoenheit
Licht geben sollte, sondern nur Kerzen – aber auch die nicht aus Talg: für sie nur die besten Bienenwachskerzen.
Den Menüvorschlag schickte er mit der Anmerkung zurück, das Essen solle aus einer Consommé, in Brühe pochierter Seezunge, geschmorter Jungente, mit Kräutern gebratenem Lammkarree und Wildfilet bestehen. Nichts weiter. Was den Koch ziemlich gekränkt hatte, der offenbar glaubte, ein romantisches Dinner habe abzulaufen wie ein Staatsbankett.
L’amour , erklärte er und drohte Lexington spielerisch mit dem Finger, müsse durch viel Nahrung und vor allem viel Fleisch gestärkt werden. Der Herr selbst sei bereits zu dünn. Seine Nacht mit der gnädigen Frau würde sich ja anhören, als klapperten zwei Skelette in einem medizinischen Kabinett.
Lexington gab nicht nach. Er hatte nicht vor, seine Dame ins Koma zu füttern. Schließlich gab der Franzose in Bezug auf die Hauptgerichte auf. Bei den Desserts aber wollte er sich nicht einschränken – nichts von diesem Unsinn mit frischem Obst à la nature .
Es würde Charlotte Russe mit Crème renversée geben, Vanillesoufflé, Mousse au chocolat, eine Birnentorte und einen Pflaumenkuchen.
„Da essen wir ja bei Tagesanbruch noch“, sagte Lexington nicht ohne Bewunderung für die Hingabe des Mannes an seine Ideale.
Der Franzose küsste seine Fingerspitzen. „ Et après werden Sie umso besser fähig zu l’amour sein, mein Lord.“
Christian kam eine halbe Stunde zu früh zum Dinner. Als er den Raum betrat, wurde gerade der Tisch gedeckt. Kristallene Fingerschalen, silberne Salzfässchen und befußte Schüsseln, in denen sich Trauben, Feigen und Kirschen befanden, wurden in genau bemessenen Abständen auf das blaue Damasttuch gestellt.
Dieses Warten war in keiner Weise vergleichbar mit der angenehmen Vorfreude an Bord der Rhodesia . Normalerweise war er diszipliniert – ein Gentleman zappelte nicht –, aber er musste sich mehrfach zusammenreißen, um nicht mit den Fingern auf dem Fenstersims zu trommeln. Er wollte ein Glas hochprozentigen Alkohol und eine Zigarette. Er wollte andere Vorhänge für den Raum. Er wollte das Gemälde noch einmal austauschen lassen.
Wenn sie nur kam, war alles gut.
Doch was wenn nicht?
Die Kerzen brannten, die Gläser funkelten im flackernden Licht. Die Eisskulptur wurde hereingebracht, und die Delfine sprangen anmutig aus gefrorenen Wellen. Eine sechzig Jahre alte Flasche Champagner wurde ehrfürchtig auf der Anrichte platziert, bereit zum Entkorken in dem Augenblick, da sie erschien.
Sie müsste schon da sein. Die Etikette schrieb vor, dass man zum Dinner mindestens eine Viertelstunde zu früh erschien, wenn schon aus sonst nichts, dann aus Respekt für die anfällige Natur von Soufflés.
Herrschten auf dem Kontinent andere Bräuche? Das hätte er wissen müssen, er hatte einige Zeit in Kontinentaleuropa verbracht. Aber er war außerstande zu denken.
Er war in einem Zustand der Geistesleere, eine Stufe vor haltloser Panik – aber nur eine.
Um acht fragte ein Hotelbediensteter diskret nach, ob Seine Gnaden zu essen beginnen wünsche.
„Noch eine Viertelstunde“, sagte er.
Nach einer weiteren Viertelstunde gab er dieselbe Anweisung.
Um halb neun fragte ihn niemand mehr etwas. Das Hotelpersonal, das sich in der vergangenen Stunde dienstbeflissen gezeigt hatte, machte sich jetzt rar. Aus dem Nichts tauchte eine Flasche Whisky auf. Genau wie Zigaretten, Streichhölzer und ein geschnitzter Elfenbeinaschenbecher.
Sie hatte ihm ihr Wort gegeben. War ihr das so wenig wert? Aber wenn sie ihr Wort von Anfang an hatte brechen wollen, warum hatte sie ihm dann nicht einen Brief geschrieben und es ihn wissen lassen?
Konnte ihr etwas Unvorhergesehenes zugestoßen sein? Was, wenn sie krank und hilflos irgendwo lag? Aber auch dann hätte sie schreiben können, und er wäre im Handumdrehen an ihrer Seite gewesen.
Doch das setzte voraus, dass sie frei und fähig war zu kommunizieren.
Was, wenn sie überwacht wurde, seit sie dahin zurückgekehrt war, wo sie hatte hingehen müssen?
Über diese Möglichkeit dachte er mehrere Minuten lang angsterfüllt nach, ehe ihm klar wurde, wie lächerlich melodramatisch das war. Eine Frau unter so mittelalterlicher Überwachung hätte nie allein den Atlantik überqueren, geschweige denn vor den Augen aller anderen Passagiere eine Affäre haben dürfen.
Die Erklärung für ihre Abwesenheit starrte ihm schon die ganze Zeit ins Gesicht, aber er hatte sie nicht sehen wollen: Die Affäre
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