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Eine bezaubernde Braut

Eine bezaubernde Braut

Titel: Eine bezaubernde Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Garwood
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Hause hinunterkletterte, denn er war ein guter und flinker Kletterer, besser sogar noch als sein älterer Bruder. Sein Papa hatte ihm das gesagt.
    Erschöpft hielt er inne, um sich auszuruhen. Er blickte nach oben und war erstaunt, wie weit er schon gekommen war. Einen Augenblick lang verspürte er Stolz auf seine Leistung, dann begann sich seine Rettungsleine aufzulösen. Sein Stolz wurde zu Angst, und er brach in Tränen aus. Er war ganz sicher, dass er seine Mama und seinen Papa niemals wieder sehen würde.
    Als Lady Gillian den Jungen erreichte, fühlte sich ihre Brust an, als würde sie brennen, und sie konnte kaum noch atmen. Sie war seiner Spur durch den dichten Wald gefolgt, war so schnell gelaufen, wie ihre Füße sie trugen. Als sie endlich die Klippen erreicht und das Kind weinen gehört hatte, war sie auf die Knie gesunken vor Erleichterung. Der kleine Junge lebte noch, Gott sei Dank.
    Doch ihre Freude war nur von kurzer Dauer gewesen, denn als sie nach dem Seil griff, um ihn in Sicherheit zu ziehen, entdeckte sie, wie dünn es war, und wusste, dass es nur eine Frage von Minuten war, ehe es riss.
    Sie rief ihm zu, sich vollkommen ruhig zu verhalten, dann legte sie sich auf den Bauch und zwang sich, über den Rand der Klippe zu sehen. Große Höhen machten ihr panische Angst, und sie verspürte eine Woge von Übelkeit, als sie in den Abgrund unter sich spähte. Wie um alles in der Welt sollte sie ihn retten? Es würde viel zu lange dauern, zurückzulaufen und ein festes Seil zu holen, und die Möglichkeit, dass einer von Alfords Soldaten sie entdeckte, war viel zu riskant. Aber aus dem Felsen ragten spitze Steine, und sie wusste, dass ein erfahrener Mann daran hinunterklettern könnte.
    Doch sie war nicht erfahren – und auch nicht geschickt. Alleine nur hinunterzusehen, verursachte ihr Übelkeit. Doch lieber Gott, sie konnte ihn nicht einfach dort hängen lassen, und die Zeit wurde knapp. Das Seil würde bald reißen, und dann würde das Kind in den Abgrund stürzen, in den sicheren Tod.
    Sie hatte keine andere Möglichkeit, deshalb schickte sie ein verzweifeltes Gebet zu Gott und bat um Mut. Sieh nicht nach unten, redete sie sich ein, als sie sich umdrehte und vorsichtig auf dem Bauch über die Kante des Abgrundes rutschte. Sieh nicht nach unten.
    Gillian stieß jedes Mal einen erfreuten Ruf aus, wenn ihre Füße einen der herausragenden Steine berührten. Es war genauso als wären es Treppen, redete sie sich ein. Als sie endlich auf gleicher Höhe mit dem Jungen war, lehnte sie die Stirn gegen den kalten Felsen, schloss die Augen und dankte Gott, dass er sie so weit hatte kommen lassen, ohne dass sie sich den Hals gebrochen hatte.
    Langsam wandte sie sich zu dem Kind. Der Junge konnte nicht älter als fünf oder sechs Jahre sein, doch er versuchte verzweifelt, tapfer zu sein. Mit einer Hand hielt er sich am Seil fest, in der anderen Hand hielt er einen Dolch – ihren Dolch. Seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, sie sah Tränen darin, und, oh, ihr Herz flog ihm zu.
    Sie war seine einzige Hoffnung, doch er fürchtete sich davor, ihr zu vertrauen. Er weigerte sich, mit ihr zu sprechen, ja sogar sie anzusehen, und jedes Mal wenn sie nach ihm griff, stieß er mit dem Dolch zu und schnitt ihr dabei in den Arm. Doch sie gab nicht auf, und wenn sie bei dem Versuch, ihn zu retten, umkommen würde.
    »Hör mit diesem Unsinn auf und lass mich dir helfen«, fuhr sie ihn an. »Du hast wohl kein bisschen Verstand! Siehst du denn nicht, dass dein Seil reißt?«
    Ihr scharfer Ton drang zu dem Jungen vor, und es gelang ihm, klarer denken zu können. Er starrte auf das Blut, das von ihren Fingern tropfte, und begriff plötzlich, was er ihr angetan hatte. Hastig warf er den Dolch weg.
    »Es tut mir Leid, Lady«, rief er auf Gälisch. »Es tut mir Leid. Ich darf einer Lady kein Leid antun, niemals.«
    Er hatte so schnell gesprochen, und seine Worte klangen so verworren, dass sie kaum begriff, was er gesagt hatte.
    »Wirst du dir von mir helfen lassen?« Sie hoffte, dass er sie verstand, doch sie war nicht sicher, ob sie die richtigen Worte benutzt hatte, denn sie besaß nur eine geringe Kenntnis der gälischen Sprache.
    Ehe er noch antworten konnte, rief sie: »Zappele nicht so herum, das Seil wird sonst reißen. Lass dich von mir festhalten.«
    »Beeilt Euch, Lady«, flüsterte er, und diesmal sprach er ihre Sprache.
    Gillian rückte näher zu ihm, sie hielt sich mit einer Hand an einem Felsbrocken über

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