Eine Billion Dollar
so mächtigen Kaufmann zeitlebens geprägt zu haben, wenn er diesen Baustil gewählt hatte.
»Und wer wohnt hier?«, wollte John wissen. Obwohl in jedem der kleinen Fenster Gardinen oder Blumentöpfe zu sehen waren, lagen die Gassen doch auffallend still. Lediglich eine krumme alte Frau ganz in Schwarz mühte sich Schritt um Schritt vorwärts, ein Einkaufsnetz in der einen und einen Gehstock in der anderen Hand.
»Gestiftet wurde die Fuggerei als Wohnstätte für unverschuldet in Not geratene Augsburger Bürger katholischen Glaubens. Wenn ich mich nicht irre, sind es genau hundertsechs Wohnungen, meistens mit drei Zimmern und für damalige Verhältnisse ausgesprochen komfortabel ausgestattet. Die ganze Siedlung ist ummauert und abgeschlossen, eine kleine Stadt in der Stadt«, erklärte Ursula. »Die Tore sind nachts sogar verschlossen, auch heutzutage noch.«
»Wann, hast du gesagt, hat er das erbauen lassen?«
»Zwischen 1514 und 1523. Das heißt, als Giacomo Fontanelli mit ihm Kontakt aufgenommen hat, im Jahr 1521, hat er einen Jakob Fugger angetroffen, der schon seit Jahren damit beschäftigt war, zu planen, was nach seinem Tod und in ferner Zukunft aus seinem Vermögen werden sollte.«
»Hmm«, zweifelte John. »Oder er hat Rückschau gehalten auf sein Leben, sich gefragt, wozu alles gut gewesen war. Dass da plötzlich ein Sohn auftaucht, von dem er nichts gewusst hat und der ihn um Hilfe bittet, seine Vision zu erfüllen, muss ihm doch wie göttliche Fügung vorgekommen sein.«
Ursula Valen schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Jakob Fugger so gedacht hat«, meinte sie und strich sich ein paar Haare aus dem Gesicht. Sie deutete in die lange Gasse quer zu ihrem bisherigen Weg. »Komm, ich zeig dir, wieso nicht.«
Am Ende der Gasse fand sich eine kleine Kirche in die Reihe der Häuser gebaut, ein kleiner, hoher Raum mit hölzerner Kassettendecke, einem gewaltigen, prachtvollen Altar und einigen wenigen Bänken davor. In einem kleinen Schaukasten neben dem Eingang war, offenbar als Information für Besucher, ein Text ausgehängt, der besagte, dass dieses Gotteshaus St.-Markus-Kirche heiße und den Bewohnern der Fuggerei zum täglichen Gebet für das Seelenheil der Stifter Georg, Ulrich und Jakob Fugger diene.
»Verstehst du?«, fragte Ursula, nachdem sie ihm den Inhalt des sauber getippten Blattes übersetzt hatte. »Jeder Bewohner der Fuggerei ist seit jeher zu zwei Dingen verpflichtet. Erstens, er muss eine Jahresmiete von einem Gulden entrichten. Das war schon damals ein eher symbolischer Betrag, heute zahlt man genau eine Mark und zweiundsiebzig Pfennige, ein im Grunde lächerlicher Betrag, für den man kaum einen Laib Brot kaufen kann. Zweitens – und das ist es was ich dir zeigen wollte – jeder Bewohner der Fuggerei ist zur täglichen Fürbitte verpflichtet, zum Gebet für die Seelen der Stifter. Das ist eine vertragliche Verpflichtung und todernst gemeint. In der Stiftungsurkunde sind Art und Ausmaß der Gebete genau festgelegt – ein Paternoster, ein Ave Maria, ein Credo, ein Ehre sei dem Vater. Und die Kirche hier wurde eigens für diesen Zweck gebaut.«
John betrachtete die schmalen Kirchenfenster nachdenklich und versuchte zu verstehen, was jemanden zu einer solchen Vorschrift veranlasst haben mochte. »Das macht ziemlich viele Fürbitten in fünfhundert Jahren, oder?«
»Allerdings. Ich bezweifle, dass für irgendjemandes Seele mehr gebetet worden ist als für die Jakob Fuggers und seiner Brüder.«
John fühlte eine eigenartige Beklemmung bei dieser Vorstellung. »Seltsam, oder? Was hat er geglaubt getan zu haben, um so viel Fürbitte zu brauchen?«
»Ich glaube nicht, dass ihn das getrieben hat«, meinte Ursula. »Ich denke, er hat auch in religiösen Dingen wie ein Kaufmann gedacht. Wenn eine Fürbitte gut ist, sind viele Fürbitten besser. Und er hat, im Leben wie im Tod, einen Weg gefunden, sich von dem, was er haben wollte, mehr zu verschaffen als jeder andere. Jakob Fugger wollte auch im Himmel ein reicher Mann sein, ganz einfach.«
Die Fugger waren allgegenwärtig in Augsburg, das Gefühl hatte John am Abend dieses anstrengenden Tages. Sie waren auf einen Turm gestiegen, hatten historische Gassen und Stadtmauerfragmente abmarschiert, waren im Goldenen Saal des Rathauses gewesen, wo in einem angrenzenden Saal eine Ausstellung über die unglaubliche Größe des wirtschaftlichen Imperiums informierte, das die Fugger in alle Welt, bis in das damals gerade entdeckte
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