Eine Billion Dollar
Schreibtischs und den abgedeckten Aktenschrank an der Wand und sagte: »Aufbrechen. Alles.«
»Rufen Sie den Flughafen an«, befahl McCaine flüsternd. »Die Maschine soll sofort startbereit gemacht werden. Ich muss auf dem schnellsten Weg zurück.«
Da saß er nun, blätterte durch eine daumendicke Akte, las Firmennamen, die er noch nie gehört, betriebswirtschaftliche Begriffe, von denen er nur verschwommene Vorstellungen hatte, sah unverständliche Kurven und Seiten voller rätselhafter Zahlen, entzifferte mühsam Anmerkungen und Stichworte in McCaines kruder Handschrift, überflog Faxe, Vertragstexte, Organigramme und Briefkopien. Um schließlich am Ende anzukommen und die Akte stirnrunzelnd auf den Haufen anderer Akten zu legen, die er bereits aus der Schublade gezogen und genauso wenig verstanden hatte.
Das hatte er sich nicht so schwierig vorgestellt. Seine wilde Entschlossenheit verrauchte mit jeder Minute, die er hier hinter McCaines Schreibtisch saß, dessen gewaltsam geöffnete Schubladen ihn angähnten mit verbogenen Metallriegeln und gesplitterten Holzabdeckungen. Die verbeulte Tür in den Vorraum ließ sich nur noch anlehnen, dahinter hörte er die Wachleute miteinander reden, halblaut, noch völlig verwundert über den Sturm, den er in der ersten halben Stunde entfesselt hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Alles, was ihn jetzt noch erfüllte, war Verzagtheit: das Gefühl, ein unglaublicher Idiot zu sein.
Er sah auf. Jenseits der gläsernen Wand weißes Nichts, durch das die benachbarten Gebäude wie Gespensterfratzen schimmerten, ihn auszulachen schienen. Was hatte er geglaubt, hier zu finden? Oder, besser gesagt, wie hatte er geglaubt, etwas Belastendes entdecken zu können? In diesen Unterlagen mochten die größten Verschwörungen, die verruchtesten Intrigen, die durchtriebensten Betrügereien in aller Offenheit geplant stehen – er würde nichts davon sehen.
Der Aktenschrank. Ein Monstrum, wenn man alle Türen öffnete. John studierte die Hängeordner, die sauber beschrifteten Reiter der Mappen, das ganze ehrfurchtgebietende System einer Ordnung, die man McCaine nicht zugetraut hätte, wenn man nur die Zustände in seinem Auto zum Maßstab nahm oder seinen Einfallsreichtum hinsichtlich der täglichen Wahl seiner Krawatte, besser gesagt, seinen völligen Mangel an Einfallsreichtum diesbezüglich. Doch ein Blick in diese mit gnadenloser Disziplin geführte Ablage offenbarte eine Zielstrebigkeit, deren bloße Ahnung einem den Atem nahm, eine geradezu monströse Besessenheit von einer Mission, für deren Erfüllung kein Opfer zu groß war, kein persönliches und auch kein Opfer sonst.
Da, die Mappe über Exxon. John berührte den Reiter, fragte sich, was er wohl finden mochte darin, und ließ es doch bleiben, nachzusehen, als er weiter hinten, halb im Schatten des oberen Auszugs, einen Reiter erspähte mit der Aufschrift Fontanelli, John.
Er nahm die Mappe heraus, schlug sie auf. Da fand er sein Leben, fein säuberlich zusammengefasst in einem eng getippten Bericht der New-Yorker Detektei Dalloway. John Salvatore Fontanelli, geboren 1. September 1967 in Bridgewater, New Jersey, als Sohn des Schuhmachermeisters Francesco Fontanelli und Gianna Fontanelli, geborene Ventura. Zwei ältere Brüder: Cesare, geboren 1958, und Lino, geboren 1961, beide kinderlos. Vater ist Jahrgang 1936, einziges Kind von Enrico Fontanelli, 1932 vor politischer Verfolgung unter Mussolini in die USA geflüchtet…
Und so weiter, und so weiter. Gegenwärtig beschäfligt als Pizza-Ausfahrer bei Super-Pizza-Service, Inhaber G. Murali. Keine erkennbaren Ambitionen, daran etwas zu ändern. Das hatte dieser Dalloway, wer immer das war, verdammt genau beobachtet. John blätterte um. Kopien von Schulzeugnissen, Fotos, wie er durch Manhattan radelte, Kopien seiner erbärmlichen Kontoauszüge sogar, solange er noch ein Konto gehabt hatte. Unterlagen über seine Eltern, seine Geschwister, und sieh an, Helen war über drei Jahre lang in psychotherapeutischer Behandlung gewesen! Davon hatte Cesare nie etwas gesagt.
Und das Protokoll von Linos Flugtauglichkeitsuntersuchung, natürlich. Er blätterte gedankenverloren die Seiten durch, bis hin zur letzten, auf der es damals gestanden hatte und immer noch stand: Zeugungsunfähig.
Das eine Wort, das den Bruderkrieg entschieden hatte.
Nun ja. Er klappte die Mappe wieder zu und wollte sie schon zurückstecken, als sein Blick auf eine andere Akte fiel, eine Akte, die hinter seiner
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