Eine Billion Dollar
werden können, weil die Hürde, bis ein Arbeitsplatz sich rechnet, höher ist. Man schätzt den Verlust für die Gesamtwirtschaft hierdurch auf 150 Milliarden Dollar. Ähnliche Berechnungen kann man für jede Steuerart und für jedes Land durchführen, und es gibt keinen Trick, mit dem man diesen Zusammenhang aus der Welt schaffen könnte, denn wir haben es mit einer mathematischen Gesetzmäßigkeit zu tun, unverrückbar wie die Sterne und unwandelbar wie das Gesetz der Schwerkraft.«
John überlegte eine Weile. »Aber diese Verluste würden sich bei jeder Steuerart ergeben, oder? Man kann sie nicht verhindern, es sei denn, man erhebt überhaupt keine Steuern.«
»Richtig«, stimmte der Wirtschaftsjournalist zu. »Es geht auch nicht darum, sie zu verhindern, sondern um das Verständnis, in welcher Weise Steuern auf das Verhalten und die Entscheidungen der Menschen wirken. Steuern lenken. Indem sie das bestrafen, worauf sie erhoben werden, vermindern sie es.« Er drehte die Hände so, dass die Handflächen nach oben wiesen. »Meine Grundidee war, wie Sie ja schon gesagt haben, Steuern auf Umweltbelastung zu erheben. Klingt gut im ersten Moment, nicht wahr?«
John stutzte. »Ja. Deswegen sitzen wir ja hier.«
»So holen einen die Sünden der Jugend wieder ein«, seufzte der Lord, aber es klang nicht wirklich bekümmert. »Der Teufel steckt nämlich im Detail. Denn wie berechnet man Umweltbelastung? In meinem Buch habe ich mich um diese Art Fragen herumgedrückt. Wie viel Schadstoffausstoß soll wie viel kosten? Kostet Cadmium im Boden mehr als Kohlenmonoxid in der Luft, und wenn ja, wie viel mehr? Berechnet sich die Steuer auf Müll nach Volumen, Gewicht oder Zusammensetzung? Und wie erfasse ich die Wärmeabstrahlung von Maschinen? Ein komplexes Thema, das zu Manipulationen und Tricksereien geradezu einlädt. Damals dachte ich, das seien sekundäre Detailfragen, aber als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, habe ich über ein Jahrzehnt herumgerechnet auf der vergeblichen Suche nach Einfachheit und Gerechtigkeit. Bis mir aufging, was grundlegend verkehrt war.«
Nun endlich widmete er sich seiner Kaffeetasse, füllte auf, gab Zucker hinzu, rührte seelenruhig um. John fiel auf, was für feinnervige Hände Rawburne hatte, Hände eines Musikers oder Künstlers, die in seltsamem Gegensatz zu seinem rustikalen Auftreten standen.
»In den Achtzigerjahren fiel mir eine volkswirtschaftliche Bilanz von Costa Rica in die Hände, die auf den ersten Blick vielversprechend aussah und auf den zweiten das reine Grauen war. Diese Leute hatten über vierzig Prozent ihres in Jahrhunderten herangereiften Waldbestandes abgeholzt und das Holz exportiert. Was mich so schockierte, war, dass sich dies in der Berechnung des Bruttosozialprodukts ausschließlich positiv niederschlug. Nach diesen Maßstäben wäre es am besten gewesen, sie hätten jeden einzelnen Baum im Land abgesägt und verkauft. Dass das in den folgenden Jahren eine landwirtschaftliche Katastrophe heraufbeschworen hätte, war aus den Zahlen nicht ablesbar. Ich dachte lange darüber nach und kam zu dem Schluss, dass alles Übel hier beginnt: Es wird schlicht und einfach falsch gerechnet.«
John hatte zu seiner eigenen Tasse greifen wollen, hielt aber in der Bewegung inne. »Eine falsch gerechnete Bilanz? Das verstehe ich jetzt nicht.«
»Oh, die Bilanz selber war korrekt, das meine ich nicht. Die Regeln, nach denen sie zu erstellen war, waren falsch. Die Definition des Bruttosozialproduktes ist Unsinn, weil sie solche Faktoren wie Umwelt und begrenzte natürliche Ressourcen überhaupt nicht berücksichtigt. Mittlerweile ist man auf eine andere Kenngröße umgestiegen, das Bruttoinlandsprodukt, aber das ist nicht viel besser.«
»Sie kritisieren gerade die Wirtschaftswissenschaft an sich, wenn ich Sie richtig verstehe.«
»Es gibt namhafte Leute, die bestreiten, dass es so etwas wie Wirtschaftswissenschaft überhaupt gibt.«
»Sind das zufällig dieselben Leute, die bestreiten, dass die Mondlandung wirklich stattgefunden hat?«
»Ich war bei der Mondlandung nicht dabei, Sie etwa?«
»Ich war damals keine zwei Jahre alt.«
»Der Unterschied ist, dass ich hier nicht glauben muss, was mir jemand sagt. Ich kann selber nachrechnen. Und seit mir das klar ist, stelle ich wieder und wieder fest, dass alle Katastrophen damit beginnen, dass jemand falsch rechnet.« Endlich riskierte er einen Schluck Kaffee. »Nehmen Sie nur die Kernenergie. Unabhängig von allen Streits
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