Eine Braut muss her!
du möchtest mich zum Gatten.”
Ihre Miene hatte ihm bekundet, dass sie einverstanden war.
“Bis es so weit ist, müssen wir uns natürlich gesittet benehmen. Unsere Väter haben Vertrauen zu uns, das wir nicht missbrauchen dürfen. Wenn wir versucht sein sollten, schon vor der Trauung miteinander intim zu sein, sollten wir nicht vergessen, dass wir noch unser ganzes Leben gemeinsam gehen werden.”
Er hatte Mary in die Arme genommen, sie sanft auf den Mund geküsst und gestreichelt. Hingebungsvoll hatte sie seine Zärtlichkeiten erwidert und sich noch rechtzeitig von ihm gelöst, ehe er alle guten Vorsätze vergessen konnte. Nur einen Moment später waren ihr Vater und Dr. Wardour in die Bibliothek gekommen und hatten zum Glück nicht gemerkt, dass sich zwischen Mary und Russell etwas verändert hatte.
Nach dem Frühstück setzte man die Reise gen Norden fort. Mary leistete dem Viscount in seiner Berline Gesellschaft, sodass die Fahrt für sie beide sehr viel angenehmer verlief, als wenn man getrennt unterwegs gewesen wäre. Abends, wenn man in einer Umspannstelle Station machte, setzte man sich nach dem Essen zum Schachspiel zusammen, bemüht, den Gegner zu schlagen.
Auch wenn es Russell schwerfiel, zu seinem gegebenen Wort zu stehen, verstand es sich für ihn von selbst, dass er seinem Versprechen treu blieb und Mary nicht bat, zu ihm in seine Kammer zu kommen oder sie in ihrem Zimmer aufsuchen zu dürfen. Er hatte nicht die Absicht, das Schicksal unnötig herauszufordern.
Berührte man sich zufällig beim Spiel, wurde Mary von einem wohligen Gefühl durchrieselt, und sobald Lord Hadleigh sie auch nur etwas sinnlich anschaute, reagierte sie innerlich in einer so starken Weise auf ihn, dass sie über sich selbst erschrak. Und manchmal hatte sie den Eindruck, dass es ihm nicht anders erging.
Hatte sie mit dem sehr viel älteren Gatten Schach gespielt, war nie eine derart prickelnde Atmosphäre entstanden. Ihre Ehe mit ihm war recht glücklich verlaufen, weil man sich auf geistiger Ebene getroffen hatte. Die Nächte mit ihm hatte sie eher geduldig ertragen, statt sie zu genießen.
Die innere Beziehung zu Russell unterschied sich sehr von der, die sie zu Henry gehabt hatte. Bei ihm kam beides zusammen, sinnliches Verlangen und das Bedürfnis, sich intellektuell mit ihm auszutauschen.
Manchmal überlegte sie, was geschehen würde, wenn sie sich ihm hingab. Sie ahnte, dass das Zusammensein mit ihm viel aufregender, weitaus erfüllender sein würde als mit Henry. Irgendwie sehnte sie sich danach, Wonnen zu erleben, die ihr bislang versagt geblieben waren, aber jedes Mal, wenn sie sich von solchen Gedanken mitreißen ließ, machte sie sich Vorwürfe und ermahnte sich, nicht töricht zu sein.
Gelegentlich dachte sie jedoch daran, Russell sein früheres Verhalten zu verzeihen, um endlich ein unbelastetes Verhältnis zu ihm zu haben.
“Heute Abend können wir leider nicht Schach spielen”, sagte Russell beim Frühstück bedauernd, “da unsere Wege sich im Verlauf des Tages trennen werden.”
“Wenn Sie möchten, finden wir uns entweder in Eddington oder in Ancoates für weitere Partien zusammen”, schlug Mary vor.
Russell war überrascht und erfreut über dieses Angebot. “Gern”, willigte er ein. “Wir sollten uns so schnell wie möglich wiedersehen.” Nach kurzer Pause setzte er nachdenklich hinzu: “Ich frage mich, wie mein Erscheinen in Eddington aufgenommen werden wird.” Angesichts Mrs Wardours verständnisloser Miene merkte er, dass er ihr eine Erklärung geben musste. “Man weiß dort nicht, dass ich komme”, fuhr er fort. “Ich habe mich von einem Augenblick zum anderen zu dieser Reise entschlossen. Mein Bruder hat mir dazu geraten, weil er meint, ich brauche eine sinnvolle Betätigung, und es könne mir nichts schaden, Einblick in die Verwaltung des Gutes zu haben.”
Diese Behauptung entsprach nur zum Teil der Wahrheit. Russell war jedoch nicht bereit, Mrs Wardour von seinem Verdacht zu berichten, bei den Abrechnungen in Eddington ginge es nicht mit rechten Dingen zu. Erst wollte er sich vergewissern, dass er sich bei den diesbezüglichen Überprüfungen der Kostenaufstellungen nicht getäuscht hatte. Es wäre peinlich gewesen, Mr Shaw Fehler vorzuwerfen, obwohl Russell so gut wie überzeugt war, dass er sich nicht irrte.
Nach dem Frühstück verließ man das Gasthaus und begab sich auf den Hof. Die Kutschen waren abfahrbereit. Russell fiel es schwer, sich von Mrs Wardour zu
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