Eine Braut muss her!
verabschieden. Am liebsten hätte er sie geküsst, bevor sie in ihren Wagen stieg.
Erstaunt merkte Mary, dass sie sich wünschte, er möge ihr zum Abschied wenigstens einen Kuss auf die Wange geben. Schließlich hatte er sie bereits zweimal geküsst, ohne von ihr dazu ermutigt worden zu sein. Außerdem war in den vergangenen Tagen wieder die freundschaftliche, zuneigungsvolle Beziehung zueinander entstanden, die sie einst in Oxford verbunden hatte.
Er hob Mrs Wardours Hand zum Kuss an die Lippen und sagte: “Wenn ich darf, werde ich Sie bald aufsuchen.”
“Sie dürfen”, antwortete Mary herzlich, “vorausgesetzt, Sie benehmen sich wie ein Gentleman.”
“Sie haben nichts zu befürchten, Mary”, erwiderte er. “Zudem werden wir wohl nie allein sein. Ich nehme an, Ihre Tante wird die Anstandsdame spielen.”
Schweigend nickte Mary.
Nicht fähig, sich von ihr zu lösen, hielt er ihre Hand fest, überwand sich indes nach einem Weilchen und verneigte sich vor ihr.
“Leben Sie wohl, Mary”, äußerte er ernst.
“Auf baldiges Wiedersehen”, erwiderte sie leise.
Er half ihr beim Einsteigen, begab sich dann zu seiner Berline und stieg ein. Entschlossen nahm er sich vor, unverzüglich in Eddington nach dem Rechten zu sehen, damit er dann genügend Muße hatte, um Mary für sich zurückzugewinnen. Er war sicher, dass er sich mit ihr an seiner Seite allen Problemen des Lebens stellen und auch dem ihm nicht wohlwollend gesonnenen Vater gegenüber behaupten konnte.
Ehe der Wagenschlag geschlossen wurde, warf Mary ihm noch einen Blick zu und bedauerte sehr, dass sie ihn an diesem Abend nicht treffen würde. Unwillkürlich dachte sie daran, dass ihrer beider Empfindungen füreinander sehr stark sein mussten, da die verflossenen Jahre sie nicht auszulöschen vermocht hatten. Nachdem sie ihm bei Sir Godfrey so unerwartet begegnet war, hatte sie den Eindruck gehabt, ihre innere Unzufriedenheit mit ihrem Leben werde ein Ende nehmen. Die Zeit mit Henry hatte sie zwar als intellektuell fruchtbar empfunden, doch nun kamen ihr, was sie selbst betraf, die mit ihm verbrachten Jahre vertan vor.
6. KAPITEL
Auf halber Strecke zwischen dem Gasthaus und der Straßenkreuzung, wo die Berline nach Eddington Court abbiegen musste, begann plötzlich eines der Pferde zu lahmen. Dadurch verlor Russell Mrs Wardours Wagen, der vor seinem hergefahren war, schnell aus den Augen. Nach kurzer Besprechung mit Needham war er widerstrebend, weil noch mehr Zeit verloren gehen würde, einverstanden, bei der nächsten Umspannstelle zu halten und die ermüdeten Pferde gegen ausgeruhte auszutauschen.
Er hoffte, es möge Mrs Wardours Kutscher aufgefallen sein, dass sein Wagen nicht mehr hinter ihm zu sehen war. Sollte das der Fall sein, dann hatte Mary vielleicht veranlasst, dass man hielt und auf die Berline wartete.
Nach dem Pferdewechsel wies er Needham an, so schnell wie möglich zu fahren, da er darauf brannte, sie vor der Straßenkreuzung einzuholen und nochmals Abschied von ihr zu nehmen. Wie befohlen, hielt der Kutscher das Gespann zu hoher Geschwindigkeit an, verlangsamte sie jedoch beim Durchfahren einer Kurve. Erstaunt beugte Russell sich aus dem Fenster und sah zu seinem Schreck, dass Mrs Wardour überfallen worden war. Ihr Wagen stand schräg an der Böschung, sie und ihre Zofe wurden mitten auf der Straße von einem Wegelagerer mit einer Pistole bedroht, und ihr Kutscher lag reglos wenige Schritte entfernt hinter ihnen. Die Pferde waren ausgeschirrt worden und wurden von zwei weiteren Räubern am Zaumzeug gehalten.
Unverzüglich rückte Russell vom Fenster ab, beugte sich zu dem unter dem gegenüberliegenden Sitz angebrachten Waffenkasten und öffnete ihn hastig. Schnell nahm er seine Pistolen heraus und machte sie schussbereit. Dann steckte er eine der beiden unter den Hosenbund, drückte die andere dem Kammerdiener in die Hand und ergriff den ihm vom Bruder mitgegebenen Trombon.
Er musste Needham nicht befehlen, sofort anzuhalten. Jäh kam das Fahrzeug zum Stehen, und sogleich stieß Russell die Tür auf. Er sprang zu Boden, hörte Pickering ihm folgen und ging auf Mrs Wardour zu. In sicherer Entfernung von dem sie bewachenden Verbrecher blieb er stehen, richtete den Lauf der Pistole auf den Mann und überlegte, wie er sich verhalten solle, um Mary und ihre Zofe nicht zu gefährden. Nach außen hin gab er sich den Anschein, zu allem entschlossen zu sein, wenngleich ihm sehr unbehaglich zumute war. Richard hätte sich in einer
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