Eine Braut muss her!
Möbel wurde, wie ich hörte, auf die Dachböden geschafft. Ich wage kaum, Ihnen den Vorschlag zu machen, eines Tages mit mir dort nachzusehen, was an Mobiliar vorhanden ist, aber es wäre sehr lieb, Sie würden mich begleiten und mich beraten, welche Einrichtungsgegenstände noch Verwendung finden können.”
“Selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung”, willigte Mary sofort ein. “Auch meine Tante wird sich uns anschließen, wenn es Ihnen recht ist.”
“Ja, natürlich.”
“Lassen Sie uns wissen, wann Sie uns brauchen.”
“Danke”, erwiderte er, öffnete die Champagnerflasche und schenkte Mary und sich ein.
Sie nahm das Glas entgegen, das er ihr reichte, und berührte dabei versehentlich seine Finger. Wohlige Wärme durchrieselte sie, und einen Moment lang hatte sie, während sie ihm in die Augen schaute, das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben.
“Die Regel, dass ein unverheiratetes Paar nicht allein sein sollte, ist nicht grundlos gemacht worden”, murmelte Russell spröde. “Ich gestehe, dass ich mich versucht fühle, meine Zurückhaltung jetzt aufzugeben, und mich sehr zwingen muss, die guten Manieren nicht zu vergessen. Aber das fällt mir schwerer als damals in Oxford.”
Mary senkte die Lider, trank einen Schluck Champagner und erwiderte freimütig: “Mir ergeht es nicht anders als Ihnen, Sir. Ich habe erkannt, dass Sie mir wieder so viel bedeuten wie vor dreizehn Jahren. Und deshalb meine ich, dass wir über die Gründe für die damalige Trennung reden müssen. Ich wüsste wirklich sehr gern, warum Sie mich sitzen gelassen haben.”
“Ich soll Sie …” Entgeistert sah Russell Mrs Wardour an. “Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen widerspreche, aber das Gegenteil war der Fall. Ich habe Sie von ganzem Herzen geliebt und nicht begriffen, weshalb Sie sich von mir abgewandt, den Kontakt zu mir abgebrochen und Mr Wardour geheiratet haben.”
Fassungslos starrte Mary den Viscount an und spürte das Blut aus den Wangen weichen. “Ich befürchte, hier liegt ein schreckliches Missverständnis vor”, äußerte sie betroffen.
“Diesen Eindruck habe ich schon seit geraumer Zeit”, pflichtete er ihr bei. “Ich versichere Ihnen jedoch, dass ich alles versucht habe, mit Ihnen in Verbindung zu bleiben, ohne je wieder ein Lebenszeichen von Ihnen erhalten zu haben. Und das ist die reine Wahrheit, Mary! Haben Sie meine Briefe denn nicht bekommen?”
“Nein”, flüsterte sie erschüttert. “Nein! Auch ich habe Ihnen geschrieben und nie etwas von Ihnen gehört. Ihr Schweigen war mir vollkommen unerklärlich.”
Er sah ihr an, dass sie ihn nicht belog. “Es ist mir ein Rätsel, warum meine Briefe nicht in Ihre Hände gelangt sind”, erwiderte er befremdet.
“Erst Wochen nach Ihrer Abreise aus Oxford hat mir mein Vater eines Tages gesagt, Sie würden nicht ins College zurückkehren. Und bald darauf hat er mir morgens beim Frühstück mitgeteilt, es sei beschlossene Sache, dass ich Henry heiraten werde. Henry sei, wie er betonte, ein herzensguter Mensch, klug und aufmerksam, dazu ein anerkannter Mathematiker, mit dem zu arbeiten mir gewiss Freude machen werde. Er ließ keinen meiner Einwände gelten und bestand unnachgiebig darauf, dass ich mich mit Henry vermähle. Da ich annehmen musste, dass ich für Sie nur ein Zeitvertreib war, habe ich mich schweren Herzens den Wünschen meines Vaters gefügt.”
“Ich bin fassungslos!”, warf Russell ein. “Sie waren nie nur ein Zeitvertreib für mich, Mary! Ich war fest entschlossen, Sie zu meiner Gattin zu machen. Sobald ich daheim eingetroffen war, habe ich meinem Vater eröffnet, dass ich beabsichtige, mich mit Ihnen zu vermählen. Er hat mir seine Erlaubnis jedoch nicht erteilt. Da ich mir nicht erklären konnte, warum ich keine Nachricht von Ihnen bekam, und auch keine Antwort auf meine zahlreichen Briefe, bin ich einmal heimlich zu Ihnen gereist und bei Ihrem Vater vorstellig geworden. Er hat sich sehr abweisend verhalten und mir zu verstehen gegeben, Sie seien bei Ihrer Tante, wo Sie sich auf Ihre Hochzeit mit Dr. Wardour vorbereiteten, den Sie aus eigenem Antrieb heiraten würden. Sie können sich nicht vorstellen, wie entgeistert ich war!”
“Ich habe nie erfahren, dass Sie bei meinem Vater waren”, warf Mary betroffen ein.
“Mehr denn je habe ich jetzt den Eindruck, dass unsere Väter die Verbindung zwischen uns hintertrieben haben”, sagte Russell ernst. “Vermutlich haben sie unsere Briefe abgefangen, damit Sie und ich
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