Eine Braut muss her!
Mary Schreibzeug bemerkte. Seitlich vom Kamin sah sie ein Tischchen, auf dem ein Schachspiel stand.
George kehrte bald zurück, servierte den Tee und äußerte dabei: “Sie sehen Ihrem Vater nicht sehr ähnlich, Mylord, sondern eher den Harings. Nähme ich mir den Bart ab, würden Sie feststellen, dass meine Behauptung zutreffend ist. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie einen Zwillingsbruder haben. Wem schlägt er nach?”
“Weder meinem Vater noch meiner Mutter”, antwortete Russell. “Er ist dunkelhaarig und von schlanker, aber kräftiger Statur. Auch im Wesen unterscheiden wir uns. Er ist viel vernünftiger als ich”, setzte er trocken hinzu.
“Wie interessant!”, erwiderte George. “Spielt jemand von Ihnen Schach?” erkundigte er sich, weil ihm aufgefallen war, dass Mrs Wardour hin und wieder zu den Figuren blickte.
“Ja”, antwortete Russell, “sowohl Mrs Wardour als auch ich beherrschen das Spiel, wenngleich ich mich lange nicht damit befasst habe. Erst neuerdings widme ich mich ihm wieder, weil sie mein Interesse daran belebt hat.”
“Sie sollen, wie ich hörte, die Arbeit Ihres Vaters fortsetzen, Madam”, wandte George sich an sie.
“Ja”, bestätigte sie erstaunt.
“Sie müssen sich nicht darüber wundern, dass ich über seine Berechnungen und Ihrer beider frühere Zusammenarbeit Bescheid weiß. Ich war, wie ich schon gesagt habe, gut mit ihm bekannt. Wenn Sie möchten, können Sie gern versuchen, die nächsten Züge bei der von mir unterbrochenen Partie zu machen.”
Russell und Mrs Wardour standen auf und betrachteten nachdenklich den Stand der Figuren. Dann machte er einen Zug, durch den er den bedrohten Reiter außer Gefahr brachte.
“Das war sehr geschickt von Ihnen”, lobte George. “Ich habe den Eindruck, dass Sie sehr scharfsinnig sind. Meiner Ansicht nach vergeuden Sie Ihre Zeit, wenn Sie für Ihren Vater in Eddington Court Ordnung schaffen. Er wird Ihnen das wahrscheinlich nicht danken. Sie sollten sich vielmehr mit einer Materie befassen, bei der Sie Ihre seltene Begabung einsetzen können.”
Verblüfft schaute Russell Mr Haring an und überlegte, woher dieser von seinen Fähigkeiten Kenntnis haben mochte.
Es erstaunte Mary zu hören, dass er offenbar ohne Wissen seines Vaters hergekommen war.
“Ich will nicht unhöflich sein”, fuhr George fort, “aber ich finde, Sie sollten jetzt den Besuch bei mir beenden. Ich werde ein Auge auf Sie halten, Sir, weil ich befürchte, dass Mr Shaw Ihnen missgünstig gesonnen ist. Gewiss hat er es Ihnen sehr übel genommen, dass er jetzt nicht mehr nach eigenem Gutdünken schalten und walten kann. Hoffentlich kommt er nicht auf den Gedanken, sich in irgendeiner Weise an Ihnen zu rächen.”
“Vielen Dank für die Warnung, Mr Haring”, erwiderte Russell verdutzt. “Bis jetzt habe ich jedoch nicht das Gefühl, dass mir von seiner Seite Gefahr droht. Dürfen Mrs Wardour und ich Sie bei passender Gelegenheit wieder aufsuchen?”
“Ja, aber nur dann, wenn ich Sie darum bitte.”
Sehr befremdet verabschiedete Mary sich von dem seltsamen Mann.
Russell bedankte sich für die Gastfreundschaft, verließ hinter ihr das Cottage und begleitete sie zu den Pferden.
“Trifft es zu, dass dein Vater nichts von deinem Aufenthalt hier weiß?” erkundigte sie sich neugierig.
“Ja”, antwortete Russell knapp.
Durch seinen Ton irritiert, schaute sie ihn überrascht an und erwiderte zögernd: “Aber du hast doch alle Leute im Glauben gelassen, du seist im Auftrag deines Vaters hier.”
Russell entschied sich, offen zu Mary zu sein. “Ich schlage vor, dass wir, ehe wir zurückreiten, einen kleinen Spaziergang machen, bei dem ich dir erklären kann, warum ich absichtlich einen falschen Eindruck erweckt habe. Ich hoffe, danach wirst du meinen Beweggrund verstehen und mir verzeihen, dass ich dir nicht von vornherein die ganze Wahrheit gesagt habe. In Zukunft werde ich keine Geheimnisse mehr vor dir haben.”
“Gut, gehen wir”, sagte Mary ernst.
Russell war froh, dass sie gelassen und sachlich reagierte und ihm nicht, wie manche andere Frau das getan hätte, Vorwürfe machte, warum er nicht von Anfang an offen zu ihr gewesen sei. Er berichtete ihr von seinem immer sehr schlechten Verhältnis zu seinem Vater und erwähnte, dass er zufällig auf Eddington Court betreffende Abrechnungen gestoßen war, bei denen er, nachdem er sie nachgerechnet hatte, große Unstimmigkeiten festgestellt hatte. Der Vater habe jedoch einen entsprechenden
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